Bator, Joanna
Knien. Die
Russkis wussten genau, dass ein Toter im Waggon war, aber wieso sollten sie
sich Umstände machen, sie ließen sie einfach weiterfahren, und diese beiden
saßen noch bis zum Nachmittag so da, fein und ernst wie bei der Sonntagsmesse,
die Hände ineinander verschränkt. Erst als am Grenzposten auf der polnischen
Seite Leute kamen, um den Alten rauszuholen, stieß die Alte einen Schrei aus,
aber was für einen - man konnte kaum glauben, dass so ein Schrei aus diesem
fast toten Körper kommen konnte. Zusammen mit dem Leichnam blieben sie direkt
hinter der Grenze in einem Ort am Arsch der Welt, und ihr Koffer aus echtem
Leder blieb im Waggon. Zuerst tat jeder so, als hätte er es nicht gemerkt,
jeder guckte vor sich hin, da steht eben ein Koffer, na und, doch sobald der
Zug sich in Bewegung setzte, stürzten sie sich darauf wie die Aasgeier, der
eine zog einen Pelz heraus, der andere ein Hemd, Strümpfe, lange Unterhosen,
und die dicke Natka, die wo in der Mühle gearbeitet hat, die nahm sich den
ganzen Koffer, und setzte sich, patz, mit dem Arsch drauf, das war jetzt ihrer.
Aber da waren sie angeschmiert, wenn sie gedacht hatten, sie würden jede Menge
Kostbarkeiten finden, Schmuck oder Geld, offensichtlich war den alten Grafen
schon vorher der Verstand flöten gegangen, und sie hatten so dumm gepackt, wie
es kein Kind gemacht hätte. Irgendwelche Papiere, die bloß für den Ofen gut
waren, ein paar Bücher, ein dickes Album mit silbernen Beschlägen und in so
weiches Leder gebunden, zart wie ein Kinderpopo. Vielleicht hatten sie die
kostbareren Sachen am Körper versteckt, weiß der Kuckuck, jedenfalls war das
jetzt futschikato. Haiina nahm das Album, das einer in die Ecke geworfen hatte,
und so kam sie besser weg als ihr trotteliger Mann, der als Einziger im ganzen
Waggon nicht drängelte, um etwas zu ergattern, dabei gehörte das doch keinem
mehr und wäre sonst verdorben, deshalb war es ja keine Sünde. Sie wurde böse
auf Wladek, und sie hatte recht damit, denn wenn er nicht so ein Honoriger
wäre, dann hätte er vielleicht mit seinen Schmiedspranken den Koffer packen
können, und mit so einem Koffer, da wäre sie vielleicht mal irgendwohin gefahren,
anstatt ihr ganzes Leben in dieser Fritzenwohnung zu sitzen. In dem Zug, der
langsam in Richtung wiedergewonnener Gebiete zockelte, an deren
Wiedergewinnung sie weder Interesse gehabt noch Hand angelegt hatte, begann
Haiina Chmura aus Widerwillen, ihr Beutealbum zu betrachten.
Da sah sie die beiden Alten noch
lebendig und viel viel jünger und ein Landgut, das so ähnlich aussah wie das
bei ihnen am Wald, nur größer, irgendwie weißer, und die Alten, kein bisschen
alt, trugen Hochzeitsgewänder oder Ballkleider und standen vor dem Haus im
Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es waren auch andere Leute auf den
Bildern, alte und junge, alle in maßgeschneiderten Kleidern und Anzügen, beim
Kaffee, im Frack, mit Schmuck und Uhren, in glänzenden Schuhen, mit Monokeln
und Orden, mit Sonnenschirmchen. Tournuren, Schleifen. Wappen und Knappen und
Kandelaberglanz. Hier war die Alte als junge Frau beim Blumenpflücken, sie
lächelt und winkt jemandem, den man nicht sieht; dort war der Alte als junger
Mann mit einem Schießgewehr, und neben ihm jemand Stattliches mit Schnauzbart,
im Schnee zu ihren Füßen ein erschossenes Reh. Ein ganzes Reh! Den ganzen
Winter könnte eine Familie davon essen. Dann die beiden ganz sommerlich auf
einem etwas verwackelten Strand mit einem verschwommenen Meer, und im Kornfeld,
sehr fröhlich, in weißen Kleidern, Hand in Hand. Die ganze letzte Seite nimmt
ein Foto von Zwillingen ein, helläugige Mädchen mit weißen Schleifen, die eine
das blühende Leben, wie Milch und Honig, die andere irgendwie missraten, wie
ausgebleicht, und dann kommt nichts mehr. Ein Drittel der Seiten mit dem dünnen
Seidenpapier dazwischen ist leer. Die Alten hatten bestimmt gedacht, dass sie
dort, wo sie hinfuhren, weitere Fotos machen würden, in den wiedergewonnenen
Gebieten würden sie sich fotografieren, in Spitzchen und Litzchen und mit
Sonnenschirmchen. In Walbrzych dann legte Haiina das Album in den ehemals
deutschen Schrank, der damals für den ärmlichen Inhalt ihrer Bündel zu groß
war, sich später jedoch füllte, so wie sich die Schränke armer Leute füllen,
die nie Kleider wegwerfen, nicht aus Sentimentalität, sondern aus Angst, in
einem eisigen Winter müssten sie vielleicht wieder ihre Sachen packen und
weggehen, und dann könnte ihnen
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