Baudolino - Eco, U: Baudolino
man soll sich Seinem Willen fügen. Vielleicht sterbe ich morgen, vielleicht werde ich hundert Jahre alt. Das liegt ganz in der Hand des Herrn.« Rabbi Solomon fand, das seien sehr weise Worte, und die beiden unterhielten sich eine Weile über die Frage der göttlichen Ratschlüsse. Es war das erste Mal, dass Baudolino seinen Adoptivvater über diese Dinge reden hörte.
Während die beiden miteinander sprachen, sah Baudolino aus den Augenwinkeln, wie Zosimos durch eine kleineTür in einen angrenzenden Raum schlüpfte und Ardzrouni ihm sogleich besorgt folgte. In der Furcht, dass Zosimos irgendeinen Geheimgang kannte, durch den er entfliehen könnte, folgte Baudolino den beiden, und so kamen sie in eine Kammer, in der nur eine Anrichte stand, auf der sich sieben vergoldete Köpfe befanden. Alle sieben stellten dasselbe bärtige Gesicht dar und standen auf einem Sockel. Es handelte sich offensichtlich um Reliquiare, man sah, dass die Köpfe sich aufklappen ließen wie Schreine, aber die Ränder des wie eine Tür aufklappbaren Vorderteils, der das Gesicht zeigte, waren mit dunklem Siegellack am hinteren Teil festgeklebt.
»Was suchst du?« fragte Ardzrouni den vor ihm eingetretenen Zosimos, ohne bemerkt zu haben, dass auch Baudolino hereingekommen war.
»Ich habe schon davon reden gehört«, antwortete Zosimos, »dass du Reliquien fabrizierst und dazu deine Hexereien mit dem Vergolden von Metallen benutzt. Das sind Täuferköpfe, nicht wahr? Johanneshäupter. Ich habe schon andere gesehen, und jetzt weiß ich auch, woher sie stammen.«
Baudolino räusperte sich leise. Ardzrouni fuhr herum, schlug sich die Hand vor den Mund und rollte erschrocken die Augen. »Ich bitte dich, Baudolino, sag dem Kaiser nichts, sonst lässt er mich hängen«, sagte er leise. »Es stimmt, das sind Reliquiare mit dem echten Haupt Johannes' des Täufers. In jedem von ihnen steckt ein Schädel, den ich mit Hilfe von Räucherungen so behandelt habe, dass er geschrumpft ist und sehr alt aussieht. Ich lebe in diesem Lande ohne natürliche Hilfsquellen, ohne Felder, die ich bestellen könnte, und ohne Vieh, meine Reichtümer sind begrenzt. Es ist wahr, ich stelle Reliquien her, sie sind sehr gefragt, in Asien wie in Europa. Man braucht nur zwei von diesen Köpfen an zwei weit voneinander entfernten Orten unterzubringen, sagen wir, einen in Antiochia und den anderen in Italien, und niemand merkt, dass es zwei sind.« Er lächelte mit öliger Demut, als bäte er um Verständnis für eine alles in allem lässliche Sünde.
»Ich hatte dich nie im Verdacht, ein tugendhafterMensch zu sein, Ardzrouni«, sagte Baudolino lachend. »Behalt deine Köpfe, aber lass uns schnell hier rausgehen, sonst wecken wir den Verdacht der anderen und des Kaisers.« Sie traten hinaus, als Friedrich gerade seinen religiösen Meinungsaustausch mit Solomon beendete.
Der Kaiser fragte den Burgherrn, welche anderen Wunderdinge er ihnen noch zu zeigen habe, und Ardzrouni führte sie, froh, diesen Saal verlassen zu können, wieder in den Korridor. Von dort gelangten sie zu einer verschlossenen Flügeltür, neben der ein Altar von der Art stand, wie sie die Heiden für ihre Opfer benutzten und von denen Baudolino noch viele in Konstantinopel gesehen hatte. Auf dem Altar lagen Reiser und Zweige. Ardzrouni goss ein wenig von einer öligen dunklen Flüssigkeit darüber, nahm eine der Fackeln, die den Korridor erhellten, und hielt sie an den Stoß. Sofort flammte er auf, und nach einer Weile vernahm man ein leichtes unterirdisches Brodeln und ein langsames Knirschen, während Ardzrouni mit erhobenen Händen Formeln in einer barbarischen Sprache rezitierte, wobei er jedoch immer wieder zu seinen Gästen blickte, wie um ihnen zu bedeuten, dass er einen heidnischen Opferpriester oder Magier spielte. Schließlich öffneten sich zum allgemeinen Erstaunen die beiden Türflügel, ohne dass sie jemand berührt hätte.
»Wunderwerke der hydraulischen Kunst«, sagte Ardzrouni mit einem stolzen Lächeln, »der ich obliege, indem ich mich an die antiken Mechaniktraktate aus Alexandria halte. Die Sache ist ganz einfach: Unter dem Altar befindet sich eine Metallkugel, die Wasser enthält, das durch das Feuer auf dem Altar erhitzt wird. Dabei verwandelt es sich in Dampf, und durch einen Syphon, der nichts anderes ist als eine gebogene Röhre, durch die man Wasser von einem Gefäß in ein anderes umfüllt, fließt dieser Dampf in einen Eimer, in dem er sich abkühlt und wieder in Wasser
Weitere Kostenlose Bücher