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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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niederzulassen, die er in einem Halbkreis fünf Schritte vor dem Thron hatte bereitlegen lassen, bot ihnen burq mit süßen, leicht ranzig schmeckenden Teigkringeln an und sagte, er sei begierig, von ihnen als Leuten, die aus dem märchenhaften Okzident kamen, zu hören, ob es dort wirklich all die Wunder gebe, von denen er in so vielen Büchern gelesen habe. Zum Beispiel, ob es dort wirklich ein Land namens Enotria gebe, in dem der Baum wachse, der jenes Getränk ausscheide, welches Unser Herr Jesus in sein Blut verwandelt habe. Ob es wahr sei, dass dort das Brot nicht platt gedrückt und einen halben Finger dick sei, sondern jeden Morgen beim Hahnenschrei wundersam aufgehe und zur Form einer weichen Frucht mit knuspriger goldener Kruste gedeihe. Ob es wahr sei, dass man dort freistehende, außerhalb von Felsen gebaute Kirchen sehen könne, und ob der Palast des großen Priesters in Rom wirklichDecken und Balken aus duftendem Holz von der legendären Insel Zypern habe. Ob dieser Palast wirklich Tore aus blauem Stein und mit Hörnern der Hornviper habe, die verhinderten, dass der Eintretende Gift hineinbringe, und Fenster aus einem Stein, der das Licht durchlasse. Ob es wahr sei, dass in jener selben Stadt ein großes rundes Bauwerk stehe, in welchem die Christen heute Löwen verspeisten und an dessen Gewölbe zwei perfekte Imitationen der Sonne und des Mondes erschienen, groß wie in Wirklichkeit, die ihren Lauf am Himmel vollzögen, zwischen von Menschenhand gemachten Vögeln, die süßeste Melodien sängen. Ob es wahr sei, dass unter dem Boden, auch er aus durchsichtigem Stein, von selbst sich bewegende Fische aus klarem Stein schwömmen. Ob es wahr sei, dass man zu dem Bauwerk über eine Treppe gelange, an der sich auf der Höhe einer bestimmten Stufe ein Guckloch befinde, durch welches man alles sehen könne, was im Universum geschieht, alle Monster der Meerestiefe, die Morgen- und Abendröte, die Menschenmassen, die im Ultima Thule leben, ein silbriges Spinnennetz inmitten einer schwarzen Pyramide, die Flocken einer kalten weißen Substanz, die im August vom Himmel herab auf das Versengte Afrika fallen, sämtliche Wüsten dieser Welt, jeden Buchstaben auf jeder Seite jedes Buches, rosige Sonnenuntergänge über dem Sambatyon, das Tabernakel der Welt zwischen zwei spiegelnden Steinplatten, die es endlos vervielfältigten, Wasserflächen wie Seen ohne Ufer, Stiere, Sturzfluten, alle Ameisen, die es auf der Erde gibt, eine Sphäre, die den Gang der Sterne reproduziert, das pochende Geheimnis des eigenen Herzens und der eigenen Eingeweide sowie das Gesicht eines jeden von uns, wenn wir vom Tod entstellt sein werden ...
    »Wer erzählt denn den Leuten hier solche Lügenmärchen?« fragte sich der Poet empört, während Baudolino vorsichtig zu antworten versuchte, indem er sagte, die Wunder des fernen Okzidents seien gewiss zahlreich, auch wenn bisweilen das Gerücht, das vergrößernd über Täler und Berge fliege, zu übertreiben beliebe, und gewiss könne er bezeugen, dass er nie irgendwo in den Ländern deruntergehenden Sonne Christen gesehen habe, die Löwen verspeisten. »Jedenfalls nicht an Fastentagen«, fügte der Poet halblaut knurrend hinzu.
    Sie merkten, dass ihre bloße Anwesenheit die Phantasie dieses jungen Fürsten entzündet hatte, der da ewig eingeschlossen in seinem runden Gefängnis saß, und sie machten sich klar, dass man, wenn man im Land der aufgehenden Sonne lebt, nicht umhinkann, von den Wundern des Abendlandes zu träumen – besonders wenn man, fügte der Poet wieder halblaut und zum Glück auf teutonisch hinzu, an einem so miesen Ort wie Pndapetzim lebte.
    Schließlich begriff der Diakon, dass auch seine Gäste etwas wissen wollten, und zeigte Verständnis dafür, dass sie sich nach so vielen Jahren der Abwesenheit vielleicht nicht mehr erinnerten, wie man in jenes Reich zurückfand, aus dem sie der Tradition nach gekommen waren, auch weil in den Jahrhunderten seither allerlei Erdbeben und andere Transformationen des Landes die Form der Berge und Ebenen gründlich verändert hatten. Er erläuterte, wie schwierig es sei, die Schlucht und den Sumpf zu überwinden, und machte darauf aufmerksam, dass die Regenzeit bald einsetzen werde, weshalb es nicht ratsam sei, die Reise sofort anzutreten. »Außerdem müssen meine Eunuchen«, sagte er, »erst Boten zu meinem Vater schicken, um ihn auf euren Besuch vorzubereiten, und diese Boten müssen mit seiner Einwilligung zu eurer Reise zurückkehren.

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