Baudolino - Eco, U: Baudolino
Leben in die Hände exaltierter und ständig betrunkener Schlemmer zu legen.«
Es war spät geworden, und Praxeas ließ seine Gäste von der nubischen Wache in ihre Unterkünfte bringen – eine Felsenhöhle gegenüber dem Turm, die zwar klein war, aber Platz für alle bot. Sie stiegen die schmalen Leitern hinauf, legten sich sofort hin und schliefen, erschöpft von diesem einzigartigen Tag, bis zum nächsten Morgen.
Geweckt wurden sie von Gavagai, der sich dienstbereit meldete. Ihm war von den Nubiern mitgeteilt worden, dass der Diakon bereit sei, seine Gäste zu empfangen.
Sie kehrten zum Turm zurück, und Praxeas persönlich führte sie den äußeren Rundgang empor bis zum obersten Stockwerk. Dort schritten sie durch eine Tür und befanden sich in einem runden Korridor, auf den sich viele andere Türen öffneten, eine neben der anderen wie die Lücken in einem Zahnkranz.
»Ich habe erst später begriffen, Kyrios Niketas, wie dieses Stockwerk angelegt war. Es ist nicht leicht zu beschreiben, aber ich will es versuchen. Stell dir jenen Korridor als die Peripherie eines Kreises vor, in dessen Mitte sich ein ebenfalls kreisrunder Raum befindet. Jede Tür, die sich auf den Korridor öffnet, führt in einen Gang, und jeder dieser Gänge müsste geradewegs wie ein Radius des Kreises inden zentralen Raum führen. Aber wenn die Gänge gerade wären, könnte jeder Besucher vom äußeren Rundgang aus sehen, was in dem zentralen Raum geschieht, und jeder, der sich in dem zentralen Raum befindet, könnte sehen, ob jemand durch einen der Gänge kommt. Nun verlief zwar jeder dieser Gänge zunächst gerade nach innen, machte dann aber, bevor er in den zentralen Raum mündete, eine Kurve, so dass niemand aus dem äußeren Rundgang in den zentralen Raum sehen konnte, was den dort Befindlichen vor fremden Blicken schützte ...«
»Aber ihn auch nicht sehen ließ, wer sich ihm näherte, außer im letzten Augenblick.«
»Genau, das ist mir auch gleich aufgefallen. Stell dir vor, der Diakon, der nominale Herrscher jener Provinz, war vor indiskreten Blicken geschützt, aber zugleich konnte er ohne Vorankündigung von einem Besuch seiner Eunuchen überrascht werden. Er war ein Gefangener, der zwar nicht von seinen Wächtern beobachtet werden konnte, aber sie auch seinerseits nicht im Blick hatte.«
»Diese Eunuchen waren noch gewiefter als unsere. Aber jetzt erzähl mir von dem Diakon.«
Sie traten ein. Der runde Raum war unmöbliert, bis auf den Thron und einige Truhen ringsum. Der Thron stand in der Mitte, war aus dunklem Holz und hatte einen Baldachin. Auf dem Thron saß eine menschliche Gestalt, in ein dunkles Gewand gehüllt und mit einem Turban auf dem Kopf, das Gesicht unter einem Schleier verborgen. Die Füße steckten in dunklen Pantoffeln und die Hände in dunklen Handschuhen, so dass man nichts von den Zügen und Formen des Sitzenden sah.
Zu beiden Seiten des Thrones, neben dem Diakon, kauerten weitere verhüllte Gestalten. Eine von ihnen reichte dem Diakon ab und zu eine Schale mit glimmenden Duftstoffen, damit er den Rauch einatme. Der Diakon wehrte ab, doch Praxeas drängte ihn durch ein Zeichen, scheinbar flehend, die Gabe anzunehmen, also musste es sich wohl um eine Medizin handeln.
»Bleibt fünf Schritte vor dem Thron stehen, verbeugteuch und wartet, bevor ihr euren Gruß entbietet, bis Er euch dazu auffordert«, flüsterte Praxeas.
»Warum ist er verschleiert?« fragte Baudolino.
»Das fragt man nicht, es gefällt ihm so.«
Sie taten, wie ihnen geheißen. Der Diakon hob eine Hand und sagte auf Griechisch: »Seit meiner Kindheit bin ich auf den Tag eurer Ankunft vorbereitet worden. Mein Logothet hat mir alles berichtet, und es wird mir eine Freude sein, euch beizustehen und als meine Gäste zu bewirten, solange ihr auf euren illustren Gefährten wartet. Ich habe auch euer unvergleichliches Geschenk erhalten. Es ist unverdient, um so mehr, als mir eine so heilige Reliquie von Gästen geschenkt wird, die selber nicht minder verehrungswürdig sind.«
Seine Stimme war schwach wie die eines Leidenden, aber sie klang jugendlich. Baudolino erging sich in derart ehrfurchtsvollen Begrüßungen, dass niemand ihm später hätte vorwerfen können, sich hochtrabend mit der Würde gebrüstet zu haben, die ihm zugeschrieben wurde. Der Diakon bemerkte jedoch, dass so viel Demut ganz offenkundig die Heiligkeit seiner Gäste bezeuge, und dagegen war nichts zu machen.
Sodann lud er sie ein, sich auf elf Kissen
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