Baudolino
Baudolino in die Taverne, und in dem langen schmalen, nach Knoblauch riechenden Kellerraum gingen alle daran, sich den
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Wein direkt aus den Fässern zu zapfen, denn an diesem Tag durfte es weder Herren noch Knechte geben, schon gar keine Kellnerinnen, die sich irgendwer schon nach oben geholt hatte, aber man weiß ja, der Mensch ist ein Jäger.
»Blut Jesu Christi«, sagte Gagliaudo und goß sich ein wenig Rotwein auf den Ärmel, um zu zeigen, daß der Stoff ihn nicht absorbierte, sondern als einen kompakten, rubinroten Tropfen stehenließ, woran man sah, daß es einer vom Guten war.
»Jetzt nennen wir die Stadt ein paar Jahre lang Caesarea, jedenfalls auf den Pergamenten mit Siegel«, sagte der Boidi leise zu Baudolino, »aber dann fangen wir wieder an, sie wie früher zu nennen, und ich möchte sehen, wer sich daran stößt.«
»Ja«, sagte Baudolino, »nennt sie dann wieder wie früher, denn so hat sie mein Engel von Colandrina genannt, und wo sie jetzt im Paradies ist, könnte es sonst passieren, daß sie sich irrt und ihre Segnungen an den falschen Ort schickt.«
»Kyrios Niketas, ich fühlte mich fast versöhnt mit meinem Unglück, denn nun hatte ich dem Sohn, den ich nie gehabt, und der Frau, die ich viel zu kurz gehabt hatte, wenigstens eine Stadt geschenkt, die niemand mehr erniedrigen würde. Vielleicht«, fügte Baudolino beflügelt vom Anislikör hinzu, »vielleicht wird Alexandria eines Tages das neue Konstantinopel werden, das dritte Rom, ganz Türme und Kirchen, ein wahres Weltwunder.«
»Das wolle Gott«, wünschte Niketas und hob seinen Kelch.
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20. KAPITEL
BAUDOLINO FINDET ZOSIMOS
WIEDER
Ende April unterzeichneten Friedrich und die Lombardische Liga einen endgültigen Friedensvertrag, der dann Ende Juni in Konstanz besiegelt wurde. Zugleich trafen wirre Nachrichten aus Byzanz ein.
Seit drei Jahren war Kaiser Manuel tot, und auf den Thron gefolgt war ihm sein Sohn Alexios, der noch kaum mehr als ein Kind war. Ein schlechterzogenes Kind, kommentierte Niketas, ein verwöhntes, unreifes Herrchen, das seine Tage damit verbrachte, sich von leichten Atemzügen zu nähren, ohne schon wahre Freude und wahren Schmerz kennengelernt zu haben, nur interessiert an der Jagd und an Pferderennen, immer umgeben von Spielgefährten, während am Hof allerlei Prätendenten danach trachteten, seine Mutter, die Kaiserin zu erobern, wozu sie sich geckenhaft parfümierten und Halsketten umhängten, wie es die Weiber tun, oder sich darauf verlegten, öffentliche Gelder zu verprassen, jeder stets nur die eigenen Ziele verfolgend und alle einander bekämpfend - als hätte man eine tragende Säule weggezogen und alles hinge kreuz und quer durcheinander.
»Es bewahrheitete sich ein unheilverkündendes Zeichen, das beim Tode Manuels aufgetreten war«, sagte Niketas. »Eine Frau hatte ein Kind geboren, einen Knaben mit kurzen, verdrehten Gliedmaßen und einem zu großen Kopf das deutete man als ein Vorzeichen der Polyarchie oder Vielherrschaft, welche die Mutter der Anarchie ist.«
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»Von unseren Spionen erfuhr ich sofort, daß ein Vetter
Manuels, Andronikos, im Hintergrund Ränke spann.«
»Er war der Sohn eines Bruders von Manuels Vater, also so etwas wie ein Onkel des kleinen Alexios. Bis zu Manuels Tod war er im Exil gewesen, da Manuel ihn als einen Verräter betrachtet hatte. Dann aber hatte er sich unterwürfig dem jungen Alexios genähert, als ob er seine Taten bereute und ihm seinen Schutz anbieten wollte, und so hatte er nach und nach immer mehr Macht gewonnen. Zwischen Komplotten und Vergiftungen setzte er seinen Aufstieg zum Kaiserthron fort, bis er, schon gealtert und von Neid und Haß ganz zerfressen, die Bürger Konstantinopels zum Aufstand trieb und sich zum Mitkaiser ausrufen ließ. Als er die geweihte Hostie nahm, schwor er, die Macht nur zu übernehmen, um seinen Neffen zu schützen, aber gleich darauf ließ er den Knaben Alexios durch seinen treuesten Schergen und Handlanger Stephanos Hagiochristophorites mit einer Bogensehne erdrosseln. Als ihm der Leichnam gebracht wurde, befahl er, ihn auf den Grund des Meeres zu werfen, aber ihm vorher den Kopf abzuschneiden, der dann an einem Ort namens Katabate versteckt wurde. Ich habe nie verstanden, warum, denn es handelt sich um ein altes, schon lange
zerfallenes Kloster unmittelbar vor den Mauern
Konstantinopels.«
»Ich kann dir sagen, warum. Meine Spione hatten mir
berichtet, daß sich bei dem Hagiochristophorites ein ständig
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