Baudolino
den richtigen Kontakt mit dem Reich der Toten herstellt.«
»Ich bin kein Feigling«, sagte Andronikos, während er sich erneut bekreuzigte, »aber du, hast du keine Angst, die Toten heraufzubeschwören?«
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Zosimos lachte verächtlich. »Herr, ich könnte diese meine Hände erheben, und die in den zehntausend Grabnischen von Konstantinopel Schlafenden würden sich mir gehorsam zu
Füßen werfen. Aber ich habe es nicht nötig, jene Leiber ins Leben zu rufen. Ich verfüge über einen wundertätigen
Gegenstand, den ich benutzen werde, um einen schnelleren Kontakt mit der Welt der Finsternis herzustellen.«
Er zündete einen Holzspan im Feuer eines der Glutbecken an und näherte ihn dem kanalartigen Rand des Wasserbeckens.
Das Öl begann zu brennen, und ein Kranz von Flämmchen lief rings um die Wasserfläche, um sich mit flackernden Reflexen in ihr zu spiegeln.
»Ich sehe noch nichts«, sagte der Basileus, während er sich über das Becken beugte. »Frage dein Wasser, wer es ist, der sich darauf vorbereitet, meinen Platz einzunehmen. Ich bemerke eine Unruhe in der Stadt und möchte wissen, wen ich vernichten muß, um ihn nicht fürchten zu müssen.«
Zosimos näherte sich dem unter einem roten Tuch
verborgenen Gegenstand auf der kleinen Säule, zog das Tuch mit einer theatralischen Geste weg und reichte dem Basileus etwas irgendwie Rundes, das er ihm mit beiden Händen hinhielt.
Unsere Freunde konnten nicht erkennen, um was es sich
handelte, aber sie sahen den Basileus erschrocken
zurückweichen, als versuche er einen unerträglichen Anblick von sich fernzuhalten. »Nein, nein«, sagte er, »das nicht! Du hast es dir für deine Riten von mir erbeten, aber ich wußte nicht, daß du es mir erneut präsentieren würdest!«
Zosimos hob seine Trophäe hoch und zeigte sie einem
gedachten Publikum wie eine Monstranz, indem er sie nach allen Seiten der Krypta drehte. Es war das Köpfchen eines toten Kindes, die Züge noch unversehrt, als wäre es gerade eben erst vom Rumpf getrennt worden, die Augen geschlossen, die Flügel
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der schmalen Nase geweitet, die Lippen halb geöffnet, so daß sie eine unversehrte Zahnreihe entblößten.
Die Reglosigkeit, die bestürzende Illusion vor Lebendigkeit dieses Gesichts wurde noch feierlicher durch die Tatsache, daß es in einer gleichmäßig goldgelben Farbe erschien und im Licht der Flämmchen, denen Zosimos es nun näherte, beinahe strahlte.
»Es war nötig, daß ich den Kopf deines Neffen Alexios
benutzte«, sagte Zosimos zum Basileus, »damit der Ritus vollzogen werden kann. Alexios war dir durch Blutsbande verbunden, durch seine Vermittlung kannst du dich mit dem Reich der Toten in Verbindung setzen.« Nach diesen Worten tauchte er das gräßliche kleine Ding langsam ins Wasser und ließ es auf den Grund des Beckens sinken, über dessen Rand sich Andronikos beugte, soweit es der Flammenkranz erlaubte.
»Das Wasser trübt sich«, rief er erregt »Es hat in Alexios das erwartete irdische Element gefunden und befragt es nun«, flüsterte Zosimos. »Warten wir, bis sich diese Wolken
verziehen.«
Unsere Freunde konnten nicht sehen, was im Wasser geschah aber sie verstanden, daß es nach einer Weile wieder klar geworden war, so daß man am Grund des Beckens das Gesicht des kleinen Basileus sah. »Hölle und Teufel es gewinnt seine natürliche Farbe wieder«, stammelte Andronikos, »und ich lese Schriftzeichen auf seiner Stirn.. O Wunder... Jota, Sigma...«
Man brauchte kein Hydromant zu sein, um zu begreifen was geschehen war. Zosimos hatte den Kopf des kindlichen Kaisers genommen, hatte ihm zwei Buchstaben in die Stirn geritzt und ihn dann mit einer wasserlöslichen goldgelben Farbe bestrichen.
Jetzt, als sich diese künstliche Patina aufgelöst hatte, übergab das unglückliche Mordopfer dem Auftraggeber seiner
Ermordung die Botschaft, die ihm Zosimos, oder wer immer ihn inspiriert haben mochte offenbar zukommen lassen wollte.
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Tatsächlich fuhr Andronikos fort zu buchstabieren: »Jota, Sigma, IS... IS...« Er richtete sich auf, fuhr sich mehrmals mit den Händen durch den Bart, schien Feuer aus den Augen zu sprühen, beugte den Kopf, wie um nachzudenken, hob ihn dann plötzlich wie ein feuriges Pferd, das sich kaum zu halten vermag, und brüllte: »Isaakios! Der Feind ist Isaakios
Komnenos! Was spinnt er für Ränke dort unten in Zypern? Ich werde eine Flotte hinschicken und ihn vernichten, ehe er sich auf den Weg machen kann, der
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