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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dem Handrücken, zweimal mit der Handkante, zweimal mit
    geballter Faust, bis Zosimos veilchenblau anlief und Baudolinos Handgelenke sich fast verrenkten. Da sagte er: »Jetzt tut es mir weh, also höre ich auf. Gehen wir uns die Karte ansehen.«
    Kyot und Abdul schleppten Zosimos unter den Armen, denn allein konnte er nicht mehr gehen, und er wies mit zitterndem Finger den Weg, wobei er murmelte: »Der Mönch, der verachtet wird und es aushält, ist wie eine Pflanze, die jeden Tag gegossen wird.«
    Baudolino sagte zu dem Poeten: »Es war Zosimos, der mich eines Tages lehrte, daß der Zorn mehr als jede andere
    Leidenschaft die Seele aufwühlt, aber bisweilen auch hilft. In der Tat, wenn wir ihn in aller Ruhe gegen die Gottlosen und die Sünder einsetzen, um sie zu retten oder sie zu beschämen, dann verschaffen wir unserer Seele ein Wohlgefühl, denn wir
    befinden uns auf geradem Weg zur Gerechtigkeit.« Und Rabbi Solomon kommentierte: »Wie der Talmud sagt: Es gibt
    Züchtigungen, die alle Frevel eines Menschen abwaschen.«
    -320-
    21. KAPITEL

    BAUDOLINO ENTDECKT DIE
    WONNEN VON BYZANZ
    Das Kloster von Katabate war verfallen, und alle hielten es für eine unbewohnte Ruinenstätte, aber auf der Höhe des Bodens gab es noch einige Zellen, und die einstige Bibliothek, wenngleich ohne Bücher, war zu einer Art Refektorium
    geworden. Hier lebte Zosimos mit zwei oder drei Eleven, und Gott allein wußte, worin ihre mönchischer Übungen bestanden.
    Als Baudolino und die Seinen mit ihrem Gefangenen an der Oberfläche auftauchten, schliefen die Eleven bereits, aber sie waren, wie sich am nächster Morgen herausstellen sollte, ohnehin benebelt genug vor ihren Zechgelagen, um keine
    Gefahr darzustellen. So beschlossen unsere Freunde, in der Bibliothek zu schlafen Zosimos hatte böse Träume, während er auf dem Boden zwischen Kyot und Abdul schlief, die
    mittlerweile seine Schutzengel geworden waren.
    Am nächsten Morgen setzten sich alle um einen Tisch und forderten Zosimos auf, unverzüglich zur Sache zu kommen.
    »Also gut, zur Sache denn«, sagte Zosimos. »Kosmas Karte befindet sich im Bukoleon-Palast, an einem Ort der nur mir bekannt ist und zu dem ich den Weg weiß. Wir werden heute am späten Abend hingehen.«
    »Zosimos«, sagte Baudolino, »du zögerst die Sache ständig hinaus. Sag uns jetzt erstmal genau, was auf diese: Karte zu sehen ist.«
    -321-
    »Nun, ganz einfach«, antwortete Zosimos und nahm ein
    Pergament und einen Stift. »Ich sagte ja schon, daß jeder rechtgläubige Christ die Tatsache anerkennen muß, daß die Welt im ganzen, also das Universum, so geformt ist wie jenes Tabernaculum, um es für euch Lateiner zu sagen, vor dem die Heiligen Schriften sprechen. Jetzt aufgepaßt: Im unteren Teil dieses Heiligtums befand sich ein Tisch mit zwölf Schaubroten, je eines für jeden Monat des Jahres. Rings um den Tisch erhob sich ein Sockel, der den Okeanos darstellte, und rings um diesen Sockel war ein handbreiter Rahmen, der die Erde des Jenseits darstellte, wo sich im Osten das Irdische Paradies befindet. Der Himmel wurde durch die Wölbung dargestellt, die sich ganz auf die vier äußersten Enden der Erde stützt, aber zwischen Wölbung und Basis war der Schleier des Firmaments gespannt, hinter dem die himmlische Welt liegt, die wir erst am Jüngsten Tag von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Denn, wie der Prophet Jesajas gesagt hat, Gott ist Der, welcher über der Erde thront, deren Bewohner wie Heuschrecken sind, Der, welcher den Himmel wie einen Schleier gespannt und wie ein Zelt ausgebreitet hat. Auch der Psalmist lobt Den, der den Himmel aufgespannt hat wie ein Zelt - und Zelt heißt ja in der Sprache von euch Lateinern tabernaculum. Alsdann hat Moses unter dem Schleier im Süden den Leuchter aufgestellt, der den ganzen Erdkreis erhellte, und darunter sieben Lampen zur Bezeichnung der sieben Wochentage und aller Sterne am Himmel.«
    »Aber du erklärst mir nur, wie jenes Tabernakel beschaffen war«, sagte Baudolino, »und nicht, wie das Universum geformt ist.«
    »Aber das Universum ist wie das Tabernakel geformt, und wenn ich dir erkläre, wie das Tabernakel beschaffen war, erkläre ich dir damit logischerweise, wie das Universum beschaffen ist.
    Wie kann es sein, daß du so etwas Einfaches nicht begreifst?
    Sieh her...« Er machte eine Zeichnung.
    -322-
    »Hier habt ihr die Form des Universums als Tabernakel, Es ist genau wie ein Tempel«, erläuterte Zosimos, »mit seinem
    halbrunden

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