Baudolino
Elende!«
Einer der beiden Begleiter trat aus dem Dunkel, und Baudolino dachte bei seinem Anblick, daß er aussah wie jemand, der nicht zögern würde, die eigene Mutter zu rösten, wenn er kein Fleisch auf dem Tisch vorfände. »Herr«, sagte der Betreffende, »Zypern ist zu weit entfernt, und deine Flotte müßte durch die Propontis fahren, in der sich zur Zeit die Schiffe des Königs von Sizilien tummeln. Aber wie du nicht zu Isaakios kannst, so kann auch er nicht zu dir. Ich würde nicht an den Komnenen denken, sondern an Isaakios Angelos, der hier in der Stadt ist und von dem du weißt, wie wenig er dich liebt.«
»Ha, Stephanos«, lachte Andronikos verächtlich, »du meinst, ich soll mich vor Isaakios Angelos fürchten? Wie kannst du glauben, daß dieser schlaffe Sack, dieser Impotente, dieser Versager und Taugenichts auch nur daran denken könnte, mich zu bedrohen? Zosimos, Zosimos«, fauchte er den Hydromanten an, »dieses Wasser und dieser Kopf verweisen mich entweder auf einen, der zu weit weg ist, oder auf einen, der zu dumm ist!
Wozu hast du Augen im Kopf, wenn du in diesem Topf voller Pisse nicht lesen kannst?« Zosimos begriff, daß er auf bestem Wege war, sein Augenlicht zu verlieren, aber zu seinem Glück schaltete sich jener Stephanos ein, der zuvor gesprochen hatte.
Aus der offenkundigen Lust, mit der er neue Verbrechen
vorschlug, schloß Baudolino, daß es sich um Stephanos
Hagiochristophorites handelte, den übelsten Schergen des
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Andronikos, denselben, der den Knaben Alexios erdrosselt und dann geköpft hatte.
»Herr, mißachte die Wunder nicht. Du hast doch gesehen, daß auf dem Gesicht des Knaben Zeichen erschienen sind, die dort sicher nicht waren, als er noch lebte. Isaakios Angelos mag ein feiger kleiner Lump sein, aber er haßt dich.
Andere noch kleinere und noch feigere Lumpen haben
erfolgreiche Anschläge auf große und mutige Manne wie dich gemacht, auch wenn sie dann... Erteile mir deine Einwilligung, und noch heute nacht schnappe ich mir de Angelos, reiße ihm eigenhändig die Augen aus und häng ihn an einer Säule in seinem Palast auf. Dem Volk wir man sagen, du habest ein Zeichen vom Himmel erhalten. Besser sofort einen aus dem Weg räumen, der dich noch nicht bedroht, als einen am Leben lassen, der dich eine Tages bedrohen könnte. Schlagen wir als erste zu.«
»Du versuchst mich zu benutzen, um einen persönliche alten Groll zu befriedigen«, sagte der Basileus, »aber kann sein, daß du, während du Böses tust, auch Gutes bewirkst. Schaff mir den Isaakios aus dem Weg. Ich bedaure nur...«, und dabei sah er Zosimos mit einem Blick an, der diesen wie Espenlaub zittern ließ, »daß wir, wenn Isaakios tot ist, nie erfahren werden, ob er mir wirklich schaden wollte und dieser Mönch also die Wahrheit gesagt hat. Aber letzten Endes hat er mir einen berechtigten Verdacht eingegeben, und wenn man von jemandem Schlechtes denkt, hat man fast immer recht. Stephanos, wir sind
gezwungen, ihm unsere Dankbarkeit zu bezeigen. Sorg; dafür, daß er bekommt, was er haben will.« Sprach's, winkt seinen beiden Begleitern und ging hinaus, während Zosimos sich langsam von dem Schrecken erholte, der ihn neben seinem Becken hatte erstarren lassen.
»In der Tat haßte der Hagiochristophorites den Isaakios Angelos und hatte sich offensichtlich mit Zosimos
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abgesprochen, um ihn in Ungnade fallen zu lassen«, sagte Niketas. »Doch indem er seiner Abneigung folgte, hat er seinem Herrn nichts Gutes getan, denn sicher weißt du daß er seinen Ruin noch beschleunigte.«
»Ja, ich weiß«, sagte Baudolino, »aber im Grunde lag mir an jenen Abend nicht soviel daran zu begreifen, was morgens passiert war. Es genügte mir zu wissen, daß ich Zosimos nun in der Hand hatte.«
Sobald die Schritte der königlichen Besucher verklungen waren, stieß Zosimos einen großen Seufzer aus. Im Grunde war sein Experiment gut ausgegangen. Er rieb sich die Hände, deutete ein erleichtertes Lächeln an, holte den Kopf des toten Knaben aus dem Wasser und plazierte ihn wieder auf der
kleinen Säule. Dann drehte er sich um, ließ seinen Blick triumphierend durch die ganze Krypta gleiten und brach in ein hysterisches Gelächter aus, wobei er die Arme hob und laut rief:
»Ich habe den Basileus in der Hand! Jetzt würde ich nicht mal mehr Angst vor den Toten haben!«
Er hatte noch kaum zu Ende gesprochen, als unsere Freunde langsam ins Licht traten. Wer mit magischen Praktiken umgeht, gelangt nicht
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