Baudolino
Schwanz abschnitt, sie so gründlich
zerkleinerte, daß er sie gleichsam zerstieß, und die so entstandene Paste dann in einem Tiegel mit Öl erhitzte.
Was für eine Frage, das war der Sud, mit dem die wenigen Haare, die Niketas noch auf dem Kopf trug, genährt, seidig gemacht und parfümiert wurden. Und diese Fläschchen? Nun, das waren Essenzen aus Muskatnuß oder aus Kardamom, oder Rosenwasser, jede zur Pflege eines bestimmten Gesichtsteils; dieser Honigseim diente zur Stärkung der Lippen und dieser andere, dessen Geheimnis nicht enthüllt werden durfte, zur Straffung des Zahnfleischs.
Am Ende war Niketas eine rundum strahlende Pracht, wie es sich gehörte für einen Richter des Velums und Logotheten der Sekreta, und wie neugeboren glänzte er gerade an jenem fahlen Morgen vor dem düsteren Hintergrund des rauchenden
Konstantinopel. Und Baudolino verspürte eine gewisse
Hemmung, ihm von seinem Leben als Heranwachsender in
einem kalten, unwirtlichen Kloster der Lateiner zu erzählen, wo Ottos prekäre Gesundheit ihn zwang, gekochtes Gemüse,
Kohlsuppen und gelegentlich eine Hühnerbrühe mit ihm zu teilen.
In jenem Jahr hatte Baudolino nur wenig Zeit am Hofe
verbringen dürfen (wo er, wenn er sich dort befand, immer zugleich voller Angst und voller Hoffnung war, Beatrix zu begegnen). Friedrich mußte zuerst Angelegenheiten mit den Polen regeln (Polanos de Polunia, schrieb Bischof Otto, gens quasi barbara ad pugnanduta promptissimus), für März hatte er einen erneuten Reichstag in Worms anberaumt, um einen
weiteren Zug nach Italien vorzubereiten, wo Mailand mit seinen
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Satelliten immer aufmüpfiger wurde, dann für September einen Reichstag in Würzburg und für Oktober einen in Besancon, kurzum, man konnte meinen, er habe die Hummeln im Leib.
Baudolino dagegen war die meiste Zeit in der Abtei von
Morimond bei Otto geblieben, hatte seine Studien bei Rahewin fortgesetzt und dem immer mehr kränkelnden Bischof als
Schreiber gedient.
Als sie zu jenem Buch der Chronica kamen, in dem der
Presbyter Johannes erwähnt wird, fragte Baudolino, was es bedeute, christianus sed nestorianus zu sein. Wären demnach diese Nestorianer nur irgendwie halbe Christen und keine richtigen?
»Nun, mein Sohn, um die volle Wahrheit zu sagen, Nestorius war ein Ketzer, aber wir haben ihm viel zu verdanken. Du mußt wissen, in Indien waren es die Nestorianer, die dort, nach dem Apostel Thomas, das Christentum verbreiteten, und zwar bis an die Grenzen jener fernen Länder, aus denen die Seide kommt.
Nestorius hat nur einen allerdings schweren Fehler begangen, im Hinblick auf unseren Herrn Jesus Christus und seine
allerheiligste Mutter. Wie du weißt, glauben wir fest an die Existenz einer einzigen göttlichen Natur, die gleichwohl aus drei verschiedenen Personen besteht: die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Aber wir glauben ebenfalls, daß in Christus nur eine einzige Person war, eben die göttliche, die aber zwei Naturen hatte, eine menschliche und eine göttliche.
Nestorius hingegen vertrat die Ansicht, daß in Christus nicht nur zwei Naturen existiert hätten, eine menschliche und eine göttliche, sondern auch zwei Personen. Infolgedessen habe Maria nur die menschliche Person geboren, weshalb man sie nicht Mutter Gottes nennen könne, sondern nur Mutter des Menschen Christus - nicht Theotókos, Gottesgebärerin, sondern höchstens Christotókos.«
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»Ist es schlimm, so zu denken?«
»Es ist schlimm, und es ist nicht schlimm«, erregte sich Otto.
»Du kannst die Heilige Jungfrau genausogut lieben, auch wenn du so über sie denkst wie Nestorius, aber du tust ihr damit weniger Ehre an. Außerdem ist eine Person die individuelle Substanz eines animal rationale, eines Vernunftwesens, und wenn in Christus zwei Personen existierten, waren das dann zwei individuelle Substanzen von zwei Vernunftwesen? Wohin führt solches Denken? Will man vielleicht sagen, Christus habe mal so und mal so argumentiert? Das soll nun freilich nicht heißen, daß der Presbyter Johannes ein gefährlicher Ketzer wäre, aber es wird gut sein, wenn er in Kontakt mit einem christlichen Herrscher tritt, der ihm den wahren Glauben nahebringt, denn da er gewiß ein ehrlicher Mann ist, wird er dann nicht umhinkönnen, sich zu bekehren. Sicher ist allerdings, daß du diese Dinge nie begreifen wirst, wenn du dich nicht daranmachst, ein bißchen Theologie zu studieren. Du bist ein heller Junge, Rahewin ist ein guter Lehrer, solange
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