Baudolino
sah
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Baudolino, wie Kyot und Boron miteinander tuschelten, etwas in ihren Reisesäcken suchten und leise hinausgingen,
offensichtlich bemüht, ihn nicht zu wecken.
Kurz darauf kam der Boidi zu ihm und rüttelte ihn am Arm. Er war beunruhigt. »Baudolino«, sagte er, »ich weiß nicht, was vorgeht, aber hier sind anscheinend alle dabei, verrückt zu werden. Der Poet ist zu mir gekommen und hat mir genau diese Worte gesagt: ›Ich habe Zosimos gefunden, und jetzt weiß ich, wo der Gradal ist, versuch nicht, den Schlaumeier zu spielen, nimm deinen Täuferkopf und finde dich bis heute nachmittag in Katabate ein, dort, wo Zosimos damals den Basileus empfangen hatte, du kennst den Weg.‹ Was meint er mit Katabate? Und von welchem Basileus hat er gesprochen? Hat er dir nichts gesagt?«
»Nein«, sagte Baudolino, »im Gegenteil, es scheint, daß er gerade mich über all dies im dunkeln lassen will. Und vor lauter Aufregung hat er ganz vergessen, daß zwar Boron und Kyot damals dabei waren, als wir Vorjahren hingingen, um Zosimos in Katabate zu fangen, aber du nicht. Alles sehr seltsam. Ich will jetzt Klarheit über die Sache haben.«
Er ging zu Boiamondo. »Hör zu«, sagte er, »erinnerst du dich an jenen Abend vor vielen Jahren, als du uns in die Krypta unter dem alten Kloster von Katabate geführt hast? Da müssen wir jetzt wieder hin.«
»Kein Problem. Du mußt zu dem kleinen Pavillon gehen, der nicht weit von der Kirche der Heiligen Apostel ist. Und vielleicht schaffst du es bis dorthin, ohne auf Pilger zu stoßen, die noch nicht so weit vorgedrungen sein können. Wenn du heil zurückkommst, wird das bedeuten, daß ich recht gehabt habe.«
»Ja, aber ich müßte dorthin, ohne dort aufzutauchen. Ich meine, ich kann dir jetzt nicht erklären, warum, aber ich muß jemandem folgen oder ihm zuvorkommen, der denselben Weg geht, und ich will nicht, daß er mich sieht. Wenn ich mich recht
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erinnere, gibt es da unten doch mehrere Gänge. Kommt man nicht auch auf einem anderen Weg hin?«
Boiamondo lachte. »Wenn du keine Angst vor den Toten
hast... Man kann auch durch einen anderen Pavillon in der Nähe des Hippodroms hinein, und auch dort kommst du, glaube ich, noch unbehelligt hin. Danach gehst du eine ganze Weile
unterirdisch, und dann bist du im Friedhof der Mönche von Katabate, von dem niemand mehr weiß, daß er noch existiert, aber er ist noch da. Die Gänge dieses unterirdischen Friedhofs führen bis zu jener Krypta, aber du kannst auch vorher anhalten, wenn du willst.«
»Führst du uns hin?«
»Baudolino, die Freundschaft ist mir heilig, aber die eigene Haut ist mir noch teurer. Ich erkläre dir alles genau, du bist ein gescheiter Bursche und wirst den Weg allein finden.
Einverstanden?«
Boiamondo beschrieb ihm den Weg mit allen Einzelheiten und gab ihm auch zwei gut geharzte Holzstücke mit. Baudolino ging zu Boidi zurück und fragte ihn, ob er Angst vor den Toten habe.
Wo denkst du hin, lachte der, ich habe nur Angst vor den Lebenden. »Dann machen wir's so«, sagte Baudolino. »Du
nimmst deinen Täuferkopf, und ich begleite dich dort hinunter.
Dann gehst du zu eurem vereinbarten Treffpunkt, und ich verstecke mich kurz vorher, um herauszufinden, was dieser Irre im Schilde führt.«
»So machen wir's«, sagte der Boidi.
Als sie gerade hinausgehen wollten, überlegte Baudolino einen Moment, kehrte noch einmal um und holte sich ebenfalls seinen Täuferkopf, wickelte ihn in einen Lappen und nahm ihn unter den Arm. Dann überlegte er noch einmal und steckte sich die beiden arabischen Dolche in den Gürtel, die er in Kalliupolis gekauft hatte.
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38. KAPITEL
BAUDOLINO BEI DER
ABRECHNUNG
Baudolino und der Boidi erreichten die Gegend des
Hippodroms, als die Flammen des Brandes schon nahten und eine Schar verstörter Bürger bedrängten, die nicht wußten, nach welcher Seite sie fliehen sollten, weil einige schrien, die Pilger kämen von rechts, und andere, sie kämen von links. Die beiden fanden den Pavillon, brachen die mit einer schwachen Kette gesicherte Tür auf, stiegen in einen unterirdischen Gang hinunter und entzündeten die Fackeln, die ihnen Boiamondo mitgegeben hatte.
Sie mußten ein langes Stück wandern, der Gang führte
offenbar vom Hippodrom zur Konstantinsmauer. Nach einer Weile ging es ein paar feucht-glitschige Stufen hinauf, und langsam stieg ihnen ein dumpfer, an Tod gemahnender
Modergeruch in die Nase, der immer stärker wurde. Es war kein Geruch von
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