Baudolino
zahlen. Weil, wenn wir die Sydoines einem
christlichen Fürsten anböten, er behaupten könnte, wir hätten sie hier gestohlen, und uns aufknüpfen lassen würde, während das Antlitz von Edessa immer auch das von Camulia, von Memphis oder von Anablatha sein könnte. Der Syrer wird meine
Argumente verstehen, wir sind vom gleichen Schlag.«
»Na gut«, sagte Baudolino, »du läßt dieses Tuch dem Herzog von Athen zukommen, und es ist mir egal, ob er ein Bildnis erwirbt, das nicht das von Christus ist. Aber du weißt, daß dieses Bildnis für mich kostbarer ist als das von Christus, du weißt, woran es mich erinnert, und du kannst nicht Schacher treiben mit einem so verehrungswürdigen Erinnerungsstück...«
»Baudolino«, sagte der Poet, »wir wissen nicht, was wir vorfinden werden, wenn wir nach Hause kommen. Mit dem
Antlitz von Edessa können wir einen Bischof auf unsere Seite ziehen, und unser Glück ist von neuem gemacht. Und außerdem, Baudolino, wenn du dieses Laken nicht aus Pndapetzim
mitgenommen hättest, würden es jetzt die Hunnen benutzen, um sich den Hintern damit abzuwischen. Dieser Mann ist dir lieb und teuer gewesen, du hast mir seine Geschichte erzählt, als wir durch die Wüsten irrten und als wir in Gefangenschaft waren, und du hast seinen Tod beweint, der sinnlos war und an den kein Grabmal erinnert. Nun denn, sein letztes Abbild wird irgendwo als das Abbild Christi verehrt werden. Was für ein erhabeneres Grabmal kannst du dir wünschen für einen, den du geliebt hast?
Wir erniedrigen dein Erinnerungsstück nicht, im Gegenteil,
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wir... wie könnte man sagen, Boron?«
»Wir verklären es.«
»Genau.«
»Vielleicht hatte ich in den Wirren jener Tage den Sinn für richtig und falsch verloren, Kyrios Niketas, vielleicht war ich auch bloß müde. Ich willigte ein. Der Poet ging hin, um die Sydoines - unsere, nein, meine, nein, die des Diakons - gegen das Mandylion zu vertauschen.«
Baudolino lachte auf, und Niketas verstand nicht, warum.
»Die wahre Posse erfuhren wir dann am Abend. Der Poet war in die einschlägige Taverne gegangen, hatte dort seinen ruchlosen Handel getätigt, hatte sich, um den Syrer betrunken zu machen, selber betrunken, war dann hinausgegangen, war von jemandem verfolgt worden, der über seine Machenschaften Bescheid wußte, vielleicht von dem Syrer selbst - der ja, wie der Poet gesagt hatte, vom selben Schlage war -, hatte in einer finsteren Gasse eins über den Schädel bekommen, war
niedergeschlagen worden und kam nach Hause, betrunkener als Noah, blutend, zerschlagen, ohne Sydoines und ohne
Mandylion. Ich hätte ihn mit Fußtritten umbringen können, aber er war ein gebrochener Mann. Zum zweiten Mal hatte er ein Reich verloren. In den folgenden Tagen mußten wir ihn
gewaltsam ernähren. Ich sagte mir, daß ich froh sein konnte, nie allzu große Ambitionen gehabt zu haben, wenn einen das
Scheitern einer Ambition in einen solchen Zustand versetzen kann. Dann gab ich zu, daß auch ich vielen enttäuschten Ambitionen zum Opfer gefallen war - ich hatte meinen geliebten Adoptivvater verloren, ohne für ihn das Reich gefunden zu haben, von dem er träumte, ich hatte die Frau, die ich liebte, für immer verloren... Allerdings hatte ich gerade von ihr gelernt, daß der Demiurg alles nur halb gemacht hat, während der Poet immer noch glaubte, daß es möglich sei, auf dieser Welt einen
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Sieg zu erringen.«
Anfang April erkannten unsere Freunde, daß Konstantinopels Tage gezählt waren. Es hatte einen sehr dramatischen
Zusammenstoß gegeben zwischen dem Dogen Dandolo, der auf dem Bug einer Galeere stand, und Murtzuphlos, der ihn vom Ufer aus beschimpfte und den Lateinern zurief, sie sollten sein Land umgehend verlassen. Es war klar, daß Murtzuphlos
verrückt geworden war und die Lateiner ihn, wenn sie wollten, mit einem Schlag erledigen konnten. Man sah auf der anderen Seite des Goldenen Horns die Vorbereitungen in ihrem Lager, und auf dem Deck der dort vor Anker liegenden Schiffe war ein ständiges Kommen und Gehen von Seeleuten und Bewaffneten, die sich auf den Angriff vorbereiteten.
Der Boidi und Baudolino fanden, daß es Zeit war, zumal sie ja nun ein bißchen Geld hatten, sich aus Konstantinopel
fortzumachen, denn ausgeplünderte Städte hätten sie schon zur Genüge gesehen. Boron und Kyot waren einverstanden, doch der Poet bat sie, noch ein paar Tage zu warten. Er hatte sich von seiner Schlappe erholt und wollte offensichtlich die letzten
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