Baudolino
trat hinter der Ikonostase hervor.
»Er war der Inbegriff von Wut und Raserei, Kyrios Niketas, und ich erkannte meinen einstigen Freund nicht wieder. Aber in diesem Augenblick fiel mir ein, wie ich an jenem Tag in der Burg noch einmal die Täuferköpfe betrachten ging, nachdem Ardzrouni uns vorgeschlagen hatte, sie auf unsere Reise mitzunehmen, und nachdem Zosimos bereits, ohne daß wir es wußten, den Gradal in einem von ihnen versteckt hatte. Ich war in die kleine Kammer getreten, hatte einen der Köpfe in die Hand genommen, wenn ich mich recht erinnere den ersten links, und hatte ihn mir genau angesehen. Dann hatte ich ihn wieder hingestellt. Nun rief ich mir jenen Augenblick vor fast fünfzehn Jahren wieder in Erinnerung, vergegenwärtigte ihn mir genau und sah mich, wie ich den Kopf rechts neben die anderen stellte, als letzten der sieben. Als Zosimos dann kam, um sich vor seiner Flucht den Gradal zu holen - den er ja in den ersten Kopf links getan hatte, wie er sich erinnerte -, hatte er diesen genommen, der jedoch vorher der zweite gewesen war.
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Und als wir dann die Köpfe unter uns aufteilten, bevor wir aufbrachen, hatte ich meinen als letzter genommen. Also den von Zosimos. Du wirst dich erinnern, daß ich seit Abduls Tod auch dessen Kopf bei mir hatte, ohne es jemandem gesagt zu haben. Als wir dann nach Pndapetzim kamen und ich einen der beiden Köpfe Praxeas schenkte, habe ich ihm offensichtlich den von Abdul gegeben, was ich schon damals daran bemerkte, daß er so leicht aufging, weil ja das Siegel bereits von Ardzrouni zerbrochen worden war. Also hatte ich fast fünfzehn Jahre lang den Gradal mit mir herumgetragen, ohne es zu wissen. Ich war nur nun dessen so sicher, daß ich es nicht einmal mehr nötig hatte, meinen Kopf zu öffnen. Dennoch tat ich es, so leise wie möglich. Trotz der Dunkelheit hinter der Säule konnte ich sehen, daß der Gradal sich tatsächlich darin befand, fest eingefügt, die Öffnung nach vorn und der Boden rund wie ein Schädel in den Hinterkopf geschmiegt.«
Der Poet packte jeden der drei am Gewand und schüttelte sie, überhäufte sie mit Beleidigungen, brüllte, er lasse sich nicht von ihnen an der Nase herumführen, und tobte, als wäre ein Dämon in ihn gefahren. Da ließ Baudolino sein Reliquiar hinter einer Säule und trat aus seinem Versteck hervor. »Ich bin es, der den Gradal hat«, sagte er.
Der Poet hielt überrascht inne. Dann lief er dunkelrot an und sagte: »Du hast uns belogen, die ganze Zeit! Und ich hielt dich für den Reinsten unter uns!«
»Ich habe euch nicht belogen. Ich wußte es selber nicht, bis heute abend. Du hast dich beim Zählen der Köpfe vertan.«
Der Poet streckte die Hände zu dem Freund und sagte mit Schaum vor dem Mund: »Gib ihn mir!«
»Warum dir?« fragte Baudolino.
»Unsere Reise ist zu Ende«, wiederholte der Poet. »Es war eine von Unglück verfolgte Reise, und dies ist meine letzte
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Möglichkeit. Gib ihn mir, oder ich bringe dich um.«
Baudolino wich einen Schritt zurück und legte die Hände um die Griffe seiner beiden arabischen Dolche. »Du wärst dazu fähig, nachdem du wegen dieses Gegenstandes schon Friedrich umgebracht hast.«
»Blödsinn!« sagte der Poet. »Du hast doch gehört, was diese drei eben gestanden haben.«
»Drei Geständnisse sind zuviel für einen einzigen Mord«, sagte Baudolino. »Ich könnte dir erwidern, selbst wenn jeder von ihnen getan hätte, was er getan hat, hast du es sie doch tun lassen. Es hätte genügt, als du Boron den Hebel der Pumpe betätigen sahst, ihn daran zu hindern. Es hätte genügt, als Kyot den Spiegel bewegt hatte, Friedrich zu warnen, bevor die Sonne aufging. Du hast es nicht getan. Du wolltest, daß jemand Friedrich umbrachte, um dann daraus Nutzen zu ziehen. Aber ich glaube nicht, daß einer von diesen armen Freunden den Tod des Kaisers verursacht hat. Als ich dich hinter der Ikonostase reden hörte, ist mir das Medusenhaupt eingefallen, durch das man in Friedrichs Zimmer hören konnte, was unten in der Schnecke gemurmelt wurde. Jetzt werde ich dir sagen, was geschehen ist. Schon vor Beginn der Expedition nach Jerusalem hast du deine Ungeduld kaum bezähmen können, du wolltest auf eigene Faust zum Reich des Priesters aufbrechen, mit dem Gradal. Du hast nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, den Kaiser loszuwerden. Danach hättest du zwar noch uns am Hals gehabt, aber wir waren offensichtlich für dich kein Hindernis.
Oder vielleicht wolltest du das tun,
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