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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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zurückgekehrt, wo ich seither von Almosen lebe, und es war ein Glück, daß mich eines Tages eine gute Seele an die Hand genommen und zu den Ruinen dieses Klosters geführt hat, wo ich tastend die Orte wiedererkenne und seither die Nächte verbringe, geschützt vor Kälte, Hitze und Regen.«
    »Das ist Zosimos' Geschichte«, sagte die Stimme des Poeten.
    »Sein Zustand bezeugt, für einmal wenigstens, seine
    Aufrichtigkeit. Also muß ein anderer von uns, der gesehen hat, wie er den Gradal versteckte, die Köpfe vertauscht haben, um Zosimos in sein Verderben laufen zu lassen und jeden Verdacht
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    von sich abzulenken. Aber dieser andere, der den richtigen Kopf genommen hat, ist derselbe, der Friedrich umgebracht hat. Und ich weiß, wer es ist.«
    »Poet«, rief Kyot aus, »warum sagst du das? Warum hast du nur uns drei hierherbestellt und nicht auch Baudolino? Warum hast du uns nichts davon bei den Genuesern gesagt?«
    »Ich habe euch hierherbestellt, weil ich diesen Krüppel nicht durch eine vom Feind eroberte Stadt schleppen konnte. Weil ich nicht vor den Genuesern sprechen wollte und schon gar nicht vor Baudolino. Baudolino hat mit unserer Geschichte nichts mehr zu tun. Einer von euch wird mir den Gradal geben, und das wird allein meine Sache sein.«
    »Warum meinst du nicht, daß Baudolino den Gradal hat?«
    »Baudolino kann Friedrich nicht getötet haben. Er hat ihn geliebt. Baudolino hatte auch kein Interesse daran, den Gradal zu stehlen, er war der einzige von uns, der ihn wirklich zum Priester Johannes bringen wollte, im Namen des Kaisers. Und schließlich, erinnert euch, was mit den sechs Täuferköpfen passiert ist, die nach Zosimos' Flucht übriggeblieben sind: Jeder von uns hatte einen genommen, Baudolino, Boron, Kyot, der Boidi, Abdul und ich. Ich habe meinen gestern nach meiner Begegnung mit Zosimos geöffnet. Es war ein geräucherter Schädel darin. Was den von Abdul angeht, ihr erinnert euch sicher: Ardzrouni hatte ihn geöffnet, um Abdul im Moment seines Todes den Schädel in die Hände zu legen, als Amulett oder etwas dergleichen, und nun liegt er mit Abdul im Grab.
    Baudolino hat seinen als Gastgeschenk dem Obereunuchen
    Praxeas gegeben, der hat ihn vor unseren Augen geöffnet, und darin war ein Schädel. Bleiben also noch drei Reliquiare, und das sind eure. Ich weiß inzwischen, wer von euch dreien den Gradal hat, und ich weiß, daß er es weiß. Ich weiß auch, daß er ihn nicht zufällig hat, sondern weil alles so von ihm geplant war seit dem Moment, da er Friedrich umgebracht hatte. Aber ich
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    will, daß er den Mut aufbringt, es uns selber zu sagen, uns zu gestehen, daß er uns jahrelang getäuscht und betrogen hat. Wenn er es gestanden hat, werde ich ihn töten. Also entscheidet euch.
    Wer etwas zu sagen hat, sage es jetzt. Wir sind ans Ende unserer Reise gelangt.«
    »Hier geschah etwas Außergewöhnliches, Kyrios Niketas. Ich beobachtete die Szene von meinem Versteck aus und versuchte, mich in die Lage meiner drei Freunde zu versetzen.
    Angenommen, einer von ihnen, nennen wir ihn Ego, wußte, daß er den Gradal besaß und daß er eine Schuld auf sich geladen hatte. Er würde sich gesagt haben, daß es an diesem Punkt das beste war, alles auf eine Karte zu setzen, sein Schwert oder seinen Dolch zu ziehen, sich in die Richtung zu stürzen, aus der er gekommen war, und zu fliehen, bis er die Zisterne und dann das Tageslicht erreicht hatte. Ich glaube, das war es, was der Poet erwartete. Vermutlich wußte er gar nicht, wer von den dreien den Gradal hatte, aber diese Flucht würde es ihm verraten. Stellen wir uns nun aber vor, daß Ego nicht sicher war, ob er den Gradal besaß, da er nie in seinem Täuferkopf
    nachgeschaut hatte, aber daß er trotzdem ein schlechtes Gewissen im Zusammenhang mit dem Tod Friedrichs hatte.
    Also würde Ego abwarten müssen, um zu sehen, ob jemand vor ihm, jemand, der wußte, daß er den Gradal besaß, zur Flucht ansetzte. Ego wartete also und rührte sich nicht. Und da sah er, daß auch keiner der beiden anderen sich rührte. Also hat keiner von ihnen den Gradal, dachte er, und keiner von ihnen glaubt, im mindesten verdächtig zu sein. Infolgedessen - so mußte Ego schließen - bin ich es, an den der Poet denkt, und ich muß fliehen. Bestürzt faßte er nach seinem Schwert oder Dolch und setzte zu einem Schritt an. Aber da sah er, daß auch die beiden anderen dasselbe taten. Also blieb er wieder stehen in der Annahme, daß die beiden anderen sich

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