Baudolino
Hinweis auf die Vergeudung, die sie damit trieben.
Um Niketas eine Probe seines Talents zu geben, rezitierte er ein paar Verse: Feror ego veluti - sine nauta navis, ut per vias aeris - vagafertur avis... Quidquid Venus imperat - labor est suavis, quae numquam in cordibus - habitat ignavis.
Da er sah, daß Niketas nicht sehr gut Latein verstand, gab er ihm eine ungefähre Übersetzung: »Ich treibe dahin wie ein Boot ohne Steuermann, wie auf luftigen Wegen der Vogel schweift...
Doch was Venus gebietet, ist wonnige Mühe, denn niemals wohnt sie in feigen Seelen...«
Als Baudolino diese und andere Verse dem Poeten zeigte, wurde der zuerst gelb vor Neid und dann blaß vor Scham, und weinend gestand er die Unfruchtbarkeit seiner Phantasie, verfluchte sein dichterisches Unvermögen und rief, er wäre lieber impotent im organischen Sinn als so unfähig
auszudrücken, was er in seinem Herzen empfand - genau das nämlich, was Baudolino so trefflich ausgedrückt habe, weshalb er sich frage, ob er es ihm nicht direkt aus dem Herzen abgelesen habe. Sodann gab er zu bedenken, wie stolz sein Vater gewesen wäre, wenn er erfahren hätte, daß er so schöne Verse verfaßte, denn schließlich werde er früher oder später gezwungen sein, vor der Familie und vor der Welt jenen
Kurznamen Poet zu rechtfertigen, der ihm zwar schmeichle, aber ihm auch das Gefühl gebe, ein poeta gloriosus zu sein, ein Prahler, der sich eine ihm nicht zustehende Würde anmaßt.
Baudolino sah ihn so tief verzweifelt, daß er ihm das
Pergament in die Hände drückte und sagte, er könne die
Gedichte haben und als die seinen ausgeben. Ein kostbares
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Geschenk, denn wie es sich traf, hatte Baudolino gerade in seinem letzten Brief an Beatrix, um ihr etwas Neues zu erzählen, die Gedichte mitgeschickt und dabei als das Werk eines
Freundes ausgegeben. Beatrix hatte sie Friedrich vorgelesen, Rainald von Dassel hatte sie gehört, und da er ein Liebhaber der Poesie war, wenn auch vorwiegend mit Palastintrigen befaßt, hatte er gesagt, er würde den Dichter gern in seine Dienste nehmen...
Gerade in jenem Jahr war Rainald von Dassel mit der hohen Würde des Erzbischofs von Köln bekleidet worden, und der Gedanke, Hofdichter eines Erzbischofs zu werden, also
gewissermaßen Erzdichter, Anhtpoeta, wie er halb scherzend und halb prahlerisch sagte, gefiel dem Poeten nicht schlecht, auch weil er nicht viel Lust hatte zu studieren, das väterliche Geld in Paris ohnehin nicht genügte und er sich nicht ganz zu Unrecht sagte, daß ein Hofpoet den ganzen Tag lang essen und trinken konnte, ohne sich um anderes kümmern zu müssen.
Nur daß man, um als Hofpoet leben zu können, Gedichte
verfassen müßte. Baudolino versprach, ihm wenigstens ein Dutzend zu schreiben, aber nicht alle auf einmal. »Schau«, erklärte er ihm, »große Dichter sind nicht immer diarrhöisch, manche leiden auch an Verstopfung, und das sind die größten.
Du mußt den Eindruck erwecken, als würdest du von den Musen gequält und könntest nur hin und wieder ein Distichon
absondern. Mit dem, was ich dir geben werde, kommst du schon ein paar Monate hin, aber laß mir Zeit, denn ich bin zwar nicht verstopft, aber auch nicht diarrhöisch. Also schieb die Abreise hinaus und schick Herrn Rainald ab und zu ein paar Verse, um ihn bei Laune zu halten. Fürs erste wird es gut sein, dich mit einer Widmung vorzustellen, einer Eloge auf deinen Wohltäter.«
Er dachte einen Abend lang darüber nach und gab ihm dann einige Verse für Rainald: Praesul discretissime - veniam te precor, morte bona morior - dulci nece necor, meum pectum
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sauciat - puellarum decor, et quas tactu nequeo - sattem corde moechor, was soviel hieß wie: »Hochedler Bischof, ich bitte um Nachsicht, denn ich sterbe einen schönen Tod, und eine süße Wunde rafft mich dahin: Die Schönheit der Mädchen durchbohrt mir das Herz, und jene, die ich nicht berühren kann, besitze ich wenigstens in Gedanken.«
Niketas fand, daß sich die lateinischen Bischöfe an nicht gerade sehr heiligen Liedern ergötzten, aber Baudolino sagte, er müsse sich zweierlei klarmachen: erstens, was ein lateinischer Bischof sei, von dem nicht verlangt werde, auf jeden Fall ein heiliger Mann zu sein, besonders wenn er zugleich auch Kanzler des Reiches war, und zweitens, wer und was Rainald war, nämlich kaum Bischof und vorwiegend Kanzler, gewiß ein
Liebhaber der Poesie, aber mehr noch darauf aus, sich die Talente eines Dichters für seine
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