Ein Mann für eine Nacht (German Edition)
Kapitel 1
Wenn man den Kerlen hinterherrennt, laufen sie weg.
Wie die Hunde sind sie, hatte Annas Großmutter einmal gesagt.
Wenn du einem Hund nachläufst, dann rennt er weg.
Wenn du stehen bleibst, bleibt er auch stehen.
Wenn du langsam kehrt machst, dreht er sich auch um.
Wenn du wegläufst, gerät er in Panik und rennt hinter dir her.
Damit hatte sie wohl recht.
Anna Allstone hatte einmal fünf Stunden lang versucht, den Hund ihrer Mutter am Strand von Sandymount einzufangen. Den Strand rauf und runter war sie hinter ihm hergerannt. Wenn der Hund dann in sicherer Entfernung stehen blieb, tat er so, als hätte er sie noch nie im Leben gesehen. Die Leute hatten sie schon angestarrt wie eine Hundediebin. In ihrer Verzweiflung hatte sie bei der Tankstelle gegenüber eine Dose Hundefutter gekauft und so lange wild mit dem Taschenmesser bearbeitet, bis sie sie aufbekam. Aber das hatte auch nichts genützt. Irgendwann hatte sie aufgegeben, sich ins Auto gesetzt und den Motor angelassen. Da kam er auf einmal angewetzt, als ob sein Leben davon abhinge. Die gleiche Taktik hätte sie letzte Woche bei Emmet Dirave anwenden sollen, anstatt ihm so auf die Pelle zu rücken. Wäre sie bloß nicht mit einer Flasche Rotwein und der Sonntagszeitung zu ihm gefahren, dann hätte sie auch nicht den fremden blauen Fiat in seiner Einfahrt entdeckt. War natürlich völlig daneben von ihr, dann an seiner Tür Sturm zu klingeln und durch den Briefkastenschlitz zu schreien: „Ich weiß, dass du da bist, du Scheißkerl.“ Und die wilden Drohungen, die sie immer wieder auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte: Das würde ihm noch leidtun, so jemanden wie sie fände er nie wieder. Hätte sie bloß danach nicht auch noch einen Rückzieher gemacht und ihn weinerlich angefleht: „Ruf mich bitte an, wir können doch darüber reden.“ Und hätte sie bloß nicht ...
Brav pustete Anna die dreißig Kerzen aus, die ihre Mutter aufs Geratewohl auf der Erdbeertorte verteilt hatte, und lächelte für ihren Vater in die Kamera. KLICK. Dieser Moment war nun für immer eingefangen, und das Bild würde bald an der Wohnzimmerwand neben den anderen neunundzwanzig dieser Serie hängen.
„Möchtest du ein Stück, Anna?“, fragte ihre Mutter und schaufelte ein üppiges Stück Torte mit einem riesigen Sahneberg auf einen Teller. Anna warf einen angewiderten Blick darauf. Mindestens tausend Kalorien.
„Deine Mutter hat sich so viel Mühe gegeben“, krächzte Großvater hinter seiner Irish Times . „Sie hat den ganzen Nachmittag gebacken.“
„Lieb von ihr.“ Anna setzte ein fröhliches Gesicht auf und sah von ihrer übergewichtigen Mutter zu ihrem hageren Vater und ihrem Großvater, der bei den Eltern lebte. „Und was gibt es sonst Neues?“
„Dein Bruder wurde befördert“, verkündete ihre Mutter stolz.
„Er ist doch gerade erst befördert worden?“
„Ja genau, und jetzt wurde er schon wieder befördert“, warf ihr Vater ein und platzte fast vor Stolz.
„Toll, dann ist er ja bald Bankdirektor“, sagte Anna trocken.
„Nimm noch ein Stück Torte, Anna.“
„Nein, ich bin wirklich satt und äh ... es wird spät. Ich will mich nicht mitten in der Nacht noch auf der Straße rumtreiben. Dublin ist gefährlich geworden, wisst ihr das denn nicht?“
„Dann muss ich dich wohl fahren“, seufzte ihr Vater ergeben und nahm die Autoschlüssel vom Küchentisch.
„Macht es dir wirklich nichts aus, Dad?“ Anna grinste.
Er schüttelte den Kopf. „Liebes Kind, jetzt bist du schon dreißig, aber geändert hast du dich kein bisschen. Dir ist immer noch jedes Mittel recht, um gefahren zu werden. Wann schaffst du dir endlich ein eigenes Auto an?“
„Bald, Dad, bald“, versprach Anna und küsste ihre Mutter und ihren Großvater zum Abschied.
Gott sei Dank. Das hatte sie überstanden, dachte sie, als ihr Vater sie nach Ranelagh zu ihrer Wohnung fuhr. Nächstes Jahr brauchte sie etwas mehr Action. Eine Party vielleicht. Nichts mit der Familie. Nein, etwas mit jungen Leuten. Andererseits: Dreißig war nicht wirklich jung. Jedenfalls nicht, wenn man Ballerina oder Model oder so etwas Ähnliches werden wollte. Oder ein Tennis Star. Egal, das war sowieso alles nichts für sie. Positiv denken! Für manche Berufe war dreißig noch sehr jung. Zum Beispiel Bischof. Oder Geschäftsführer einer großen Firma. Oder wenn man ein berühmter Dichter war, oder Professor. Oder Rektor oder, ups, Großmutter! Stopp, ermahnte sie sich. Das brachte
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