Baudolino
gleich die Lust dazu. So gehorchte ich Rainald und
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kehrte sofort nach Paris zurück, aber nur um der Kaiserin nicht zu begegnen. Abdul hatte wieder angefangen, Lieder zu
komponieren, und ich entdeckte, daß die Büchse mit dem
grünen Honig inzwischen halb leer war. Ich erzählte ihm von dem Unternehmen mit den Magiern, und er nahm sein
Instrument und sang: Niemand wundere sich, wenn ich / nur die liebe, die mich niemals sehen wird. / Von einer anderen Liebe weiß mein Herz nichts, / außer der, die es niemals erblickt, /
noch wird mich jemals andere Freude ergötzen / und was soll mir auch Gutes daraus erwachsen /ah, ah... Ah, ah... Ich gab es auf, mit ihm über meine Pläne zu diskutieren, und in Sachen Priester Johannes unternahm ich etwa ein Jahr lang nichts.«
»Und die Magierkönige?«
»Rainald brachte die Reliquien zwei Jahre später nach Köln, aber er war großzügig, denn einige Zeit vorher war er
Domprobst in Hildesheim gewesen, und bevor er die Überreste der drei Könige in den Kölner Schrein verschloß, ließ er jedem einen Finger abschneiden und als Geschenk an seine alte Kirche schicken. Zu jener Zeit hatte Rainald jedoch andere Probleme zu lösen, und keine geringen. Genau zwei Monate bevor er seinen triumphalen Einzug in Köln halten konnte, war der Gegenpapst Viktor gestorben. Fast alle hatten erleichtert aufgeatmet: so ordneten sich die Dinge von selber, und vielleicht würde sich Friedrich nun mit Alexander aussöhnen.
Doch Rainald lebte von diesem Schisma, verstehst du, mit zwei Päpsten kam es mehr auf ihn an als mit einem allein. Daher produzierte er einen neuen Gegenpapst, Paschalis III., indem er eine Parodie des Konklave veranstaltete, mit einer Handvoll Kirchenmänner, die er gleichsam von der Straße aufgelesen hatte. Friedrich war nicht überzeugt. Er sagte mir...«
»Warst du zu ihm zurückgekehrt?«
Baudolino seufzte: »Ja, für ein paar Tage. In jenem selben Jahr
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hatte die Kaiserin ihm einen Sohn geboren.«
»Wie hast du reagiert?«
»Ich begriff, daß ich sie endgültig vergessen mußte. Ich aß sieben Tage lang nichts und trank nur Wasser, denn ich hatte irgendwo gelesen, daß Hungern den Geist reinigt und am Ende Visionen erzeugt.«
»Stimmt das?«
»O ja, aber in den Visionen sah ich sie. Da beschloß ich, daß ich dieses Kind sehen mußte, um mir den Unterschied zwischen Traum und Vision zu verdeutlichen. So kehrte ich an den Hof zurück. Seit jenem wunderbaren und schrecklichen Tag waren über zwei Jahre vergangen, und seit damals hatten wir uns 'nicht wiedergesehen. Beatrix hatte nur Augen für ihr Kind und schien bei meinem Anblick keinerlei Unruhe zu verspüren. Da sagte ich mir, daß ich, auch wenn ich mich nicht damit begnügen konnte, Beatrix wie eine Mutter zu lieben, dieses Kind wie einen Bruder lieben würde. Doch als ich dann das kleine Wesen in der Wiege betrachtete, konnte ich den Gedanken nicht abweisen, daß: es, wären die Dinge anders gelaufen, mein Kind hätte sein können. Auf jeden Fall lief ich immer Gefahr, mich als
Blutschänder zu fühlen.«
Unterdessen plagten Friedrich ganz andere Probleme. Ein halber Papst, sagte er einmal zu Rainald, garantiere seine Rechte nur wenig, die drei Magierkönige kämen ihm schon zupaß, aber sie genügten nicht, denn die Magier gefunden zu haben heiße ja nicht unbedingt, von ihnen abzustammen. Der Papst habe es gut, der könne sich auf Petrus berufen, und Petrus sei von Jesus selbst auserwählt worden, aber was mache der arme Kaiser des Heiligen Römischen Reiches? Solle er sich auf Caesar berufen, der schließlich noch Heide war? Hier brachte Baudolino eine Idee vor, die ihm gerade in den Sinn gekommen war, nämlich daß Friedrich seine Würde ja auf Karl den Großen zurückführen
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könne. »Aber Karl der Große war vom Papst gesalbt worden, das bringt uns nicht weiter«, entgegnete Friedrich.
»Es sei denn, du läßt ihn heiligsprechen«, sagte Baudolino.
Friedrich fuhr ihn an, er solle gefälligst erst nachdenken, bevor er solche Dummheiten sage. »Das ist keine Dummheit«,
beharrte jedoch Baudolino, denn inzwischen hatte er nicht nur nachgedacht, sondern sich die Szene, die aus seiner Idee hervorgehen konnte, schon ausgemalt, so daß er sie gleichsam vor Augen sah. »Paß auf: Du gehst nach Aachen, wo Karl der Große begraben liegt, läßt seine sterbliche Hülle exhumieren, tust sie in einen schönen Reliquienschrein in der Mitte der Pfalzkapelle, und in deiner Gegenwart,
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