Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
verfügte, schien er das Reich des Johannes nicht für den Kaiser, sondern für sich haben wollen. Dies alles mag dir erklären, warum ich, enttäuscht einige Jahre lang nicht mit Friedrich über das Reich des Priesters gesprochen habe. Wenn das Spiel so lief, schien es mir besser, das Reich zu belassen, wo es lag, um es der Gier all derer zu entziehen, die keinen Begriff von seiner mystischen Größe hatten. Der Brief war für mich so etwas wie ein privater Traum geworden, in den ich keinen anderen einlassen wollte. Er half mir über den Kummer meiner unglücklichen Liebe hinweg.
    Eines Tages, so sagte ich mir, werde ich all dies vergessen und mich ins Reich des Priesters Johannes begeben... Aber zurück zu
    -219-
    den lombardischen Angelegenheiten.«
    Zu der Zeit, als Alexandria gebaut wurde, hatte Friedrich gesagt, es fehle nur noch, daß auch Pavia zu seinen Feind überlaufe. Zwei Jahre später schloß sich Pavia der
    antikaiserlichen Liga an. Es war ein harter Schlag für Friedrich, reagierte nicht sofort, aber im Laufe der nächsten Jahre wurde die Lage in Italien so unerquicklich, daß Friedrich sich zu einem erneuten Zug über die Alpen entschloß, und es war klar, daß er genau auf Alexandria zielte.
    »Entschuldige«, sagte Niketas, »das war also sein dritter Italienzug?«
    »Nein, der vierte. Oder, warte mal... Es muß der fünfte gewesen sein, glaube ich. Manchmal ist er jahrelang unten geblieben, bis zu vier Jahren, wie damals bei der Sache mit Crema und der Zerstörung Mailands. Oder war er
    zwischendurch zurückgekehrt? Ich weiß nicht, er hielt sich ja mehr in Italien auf als zu Hause, aber wo war sein Zuhause? Ans Reisen gewöhnt, fühlte er sich - das war mir aufgefallen - richtig wohl nur an einem Fluß: Er war ein guter Schwimmer, er
    fürchtete weder Eiseskälte noch Hochwasser, noch Strudel. Er sprang kopfüber hinein und schwamm wie ein Fisch und schien sich vollkommen in seinem Element zu fühlen... Wie auch immer, jedenfalls auf diesem Zug nach Italien, da war er sehr wütend und bereit zu einem harten Krieg. Mit ihm waren der Markgraf von Montferrat, Alba, Acqui, Pavia und Como...«
    »Aber gerade eben hast du gesagt, Pavia sei zur Liga
    übergelaufen...«
    »Wirklich? Ach ja, vorher, aber inzwischen war es wieder zum Kaiser zurückgekehrt.«
    »Herr im Himmel, bei uns stechen sich die Kaiser gegenseitig die Augen aus, aber solange einer sehen kann, wissen wir wenigstens, auf welcher Seite er steht...«
    -220-
    »Ihr habt eben keine Phantasie. Kurzum, im September jenes Jahres zog Friedrich über den Mont Cenis nach Susa. Er hatte die Schmach noch gut in Erinnerung, die er dort sieben Jahre zuvor erlitten hatte, und rächte sich nun mit Feuer und Schwert.
    Asti ergab sich sofort und ließ ihn passieren, und so schlug er sein Lager in der Frascheta auf, am Ufer der Bormida, aber überall ringsum wurden Männer postiert, auch jenseits des Tanaro. Es war der Moment der Abrechnung mit Alexandria.
    Ich erfuhr es aus Briefen von dem Poeten, der die Expedition begleitete: Friedrich schien Feuer und Flammen zu sprühen, er fühlte sich als die Verkörperung der göttlichen Gerechtigkeit selbst.«
    »Warum warst du nicht bei ihm?«
    »Weil er wirklich gut zu mir war. Er hatte verstanden, daß es für mich sehr schmerzlich sein mußte, die strenge Bestrafung mit anzusehen, die er meinen Landsleuten zu verpassen
    gedachte, und so ermunterte er mich unter irgendeinem
    Vorwand, so lange fernzubleiben, bis Roboreto nur noch ein Haufen Asche sei. Verstehst du, er sagte weder Civitas Nova noch Alexandria, denn eine neue Stadt durfte ohne seine Erlaubnis nicht existieren. Er sprach noch von dem alten Dorf Roboreto, als ob es sich bloß ein bißchen vergrößert hätte.«
    Das war Anfang November. Aber der November war in jener Ebene eine Sintflut. Es regnete und regnete, und sogar die frisch bestellten Felder wurden zu Sumpf. Der Markgraf von
    Montferrat hatte Friedrich versichert, die Mauern der neuen Stadt seien aus Erde und ihre Bewacher ein Häuflein wild zusammengewürfelter Versprengter, die schon davonlaufen würden, wenn sie bloß den Namen des Kaisers hörten - statt dessen erwiesen sich diese Versprengten als gute Verteidiger und die Mauern als so hart, daß die kaiserlichen Rammen oder Widder sich die Hörner daran abstießen. Pferde und Soldaten steckten im Schlamm fest, und eines Tages gelang es den
    -221-
    Belagerten sogar, den Lauf der Bormida umzuleiten, so daß die Elite der alemannischen

Weitere Kostenlose Bücher