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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Tages erfahren würdest, daß wir in einer großen Gefahr
    schweben, würdest du uns aus Liebe zu deinem leiblichen Vater eine Warnung zukommen lassen. Aber wenn du dazu den Mut hast, wer weiß, ob du nicht aus den gleichen Gründen auch deinen Adoptivvater vor irgendeiner Maßnahme unsererseits warnen würdest, die für ihn allzu schmerzlich sein könnte.
    Daher ist es besser, du weißt möglichst wenig.«
    »Ja, mein Sohn«, sagte nun auch Gagliaudo, »tu wenigstens einmal was Gutes nach all dem Ärger, den du mir gemacht hast.
    Ich muß hierbleiben, denn wie du siehst, sprechen wir hier über wichtige Dinge, aber laß deine Mutter nicht ausgerechnet in dieser Nacht allein. Ich sage dir, wenn sie dich sieht, wird sie vor lauter Glück überhaupt nichts begreifen und gar nicht merken, daß ich nicht da bin. Geh, und gib acht, was ich dir
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    sage: Ich erteile dir auch meinen Segen, denn wer weiß, wann wir uns wiedersehen werden.«
    »Na großartig!« sagte Baudolino. »An einem einzigen Tag finde ich eine Stadt und verliere sie wieder. Oporca miseria, macht euch das klar: Wenn ich meinen Vater wiedersehen will, werde ich zu seiner Belagerung kommen müssen!«
    Was dann, erklärte Baudolino seinem Zuhörer, auch mehr oder weniger so geschah. Aber es gab keine Möglichkeit, auf andere Weise aus der Sache herauszukommen, ein Zeichen dafür, daß es wirklich schwierige Zeiten waren.
    »Und dann?« fragte Niketas.
    »Dann machte ich mich auf die Suche nach unserem Haus.
    Der Schnee am Boden lag schon kniehoch, die weiße Fracht von oben war ein dichtes Flockengewimmel, das einem vor den Augen tanzte und die Sicht nahm, die Feuer der Civitas Nova waren verschwunden, und zwischen all dem Weiß unten und dem Weiß oben wußte ich nicht mehr, in welche Richtung ich gehen sollte. Ich glaubte mich an die alten Pfade zu erinnern, aber was hieß hier noch Pfade, man konnte ja nicht einmal mehr erkennen, was fester Boden und was Sumpf war. Offensichtlich hatten sie zum Bau ihrer Häuser ganze Wäldchen abgeholzt, ich fand keine Spur mehr von jenen Bäumen, die ich als Kind im Schlaf wiedererkannt hätte. Ich hatte mich verirrt, wie damals Friedrich in jener Nacht, als ich ihm das erste Mal begegnet war, nur herrschte diesmal kein Nebel, sondern Schneetreiben, denn wäre es Nebel gewesen, hätte ich mich noch zurechtgefunden.
    Feine Sache, Baudolino, sagte ich mir, du verirrst dich in deiner eigenen Heimat! Meine Mamma hatte schon recht, die Leute, die lesen und schreiben können, sind dümmer als die anderen.
    Was mache ich jetzt, bleibe ich hier und verspeise mein Maultier, und morgen früh, wenn sie tief genug graben, finden
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    sie mich starr wie ein Kaninchenfell, das eine Nacht lang draußen gelegen hat in den frostigsten Wintertagen?«
    Daß Baudolino da war und sein Abenteuer erzählte, beweist, daß er es überstanden hatte, aber nur dank ein Begebenheit, die fast an ein Wunder grenzte. Denn während er ziellos
    weitergeritten war, hatte er ein weiteres Mal einen Stern am Himmel entdeckt, schwach leuchtend aber erkennbar, und war ihm gefolgt, bis er merkte, daß er in einem kleinen Tal gelandet war und das Licht deswegen oben zu sein schien, weil er sich unten befand; doch nachdem er den Hang hinaufgeritten war, sah er das Licht immer größer werden, bis ihm klar wurde, daß es aus ein jener gemauerten loggiaförmigen Scheunen kam, in dem die Tiere gehalten werden, wenn im Haus nicht genügend Platz ist. Und in der Scheune befanden sich eine Kuh und ein Esel, der gotteserbärmlich schrie, und eine Frau mit den Händen zwischen den Beinen eines Schafes, und das Schaf war gerade dabei, ein Lämmchen zu gebären, und blökte aus Leibeskräften.
    Er war er auf der Schwelle stehengeblieben, um zu warten, bis das Lämmchen ganz draußen war, dann hatte den Esel mit
    einem Fußtritt beiseite gestoßen und war hingestürzt, um seinen Kopf in den Schoß der Frau legen mit dem Ruf Mutter, liebe gesegnete Mutter, und sie hat einen Moment lang überhaupt nichts begriffen, hatte seinen Kopf hochgezogen und ans Licht gehalten, und dann war sie in Tränen ausgebrochen und hatte schluchzend zu murmeln begonnen: »O Herr, o Herr, zwei Tiere in einer Nacht, eins neu geboren und eins zurückgekehrt aus dem Hause des Teufels, das ist ja wie Weihnachten und Ostern am selben Tag, das ist zuviel für mein armes Herz, haltet mich, ich falle in Ohnmacht, genug jetzt, hör auf, Baudolino, grad hab ich Wasser heiß gemacht, um dieses

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