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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die etwa eine halbe Meile außerhalb der Mauern lag, und kaum war er durchs Tor hinausgegangen, kam aus dem Wald eine Horde von Böhmen, die sicher Vögel jagen wollten, wenn es dort noch lebendige Vögel gegeben hätte. Sie erblickten die Kuh, ohne ihren hungrigen Augen glauben zu wollen, stürzten sich auf Gagliaudo, der sofort beide Hände hob, und schleppten ihn mitsamt dem Tier zu ihrem Lager. Bald hatte sich eine Schar von Kriegern mit eingefallenen Wangen und Stielaugen um sie versammelt, und der armen Rosina wurde sofort die Kehle durchschnitten von einem, der sein Handwerk offensichtlich verstand, denn er tat es mit einem einzigen Schnitt, und in der Zeit, die man braucht, um Amen zu sagen, war Rosina vom Leben zum Tode gebracht. Gagliaudo vergoß echte Tränen, und so kam die Szene allen Anwesenden ganz echt vor.
    Als dem Tier der Bauch aufgeschnitten worden war, geschah, was geschehen mußte: Das ganze Körnermahl war so eilig
    hinuntergeschlungen worden, daß es jetzt auf die Erde prasselte, als ob es noch unversehrt wäre, und allen schien es ganz ohne Zweifel Getreide zu sein. Die Verblüffung war so groß, daß sie den Appetit überwog, und jedenfalls hatte der Hunger den Belagerern ein elementares Urteilsvermögen nicht genommen: Daß in einer belagerten Stadt auch die Kühe so unmäßig prassen konnten, verstieß gegen jedes menschliche und göttliche Gesetz.
    Ein Sergent unter den hungrig Zuschauenden konnte seinen spontanen Trieb unterdrücken und befand, daß dieses Wunder den Kommandanten zur Kenntnis gebracht werden müssen.
    Kurz darauf wurde die Nachricht dem Kaiser überbracht, bei dem Baudolino scheinbar gelassen, aber innerlich zitternd vor Spannung auf das Ereignis gewartet hatte.
    Rosinas Kadaver, ein Leintuch mit den herausgeprasselten Körnern und Gagliaudo in Fesseln wurden vor Friedrich
    gebracht. Tot und zerteilt erschien die Kuh jetzt weder fett noch
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    mager, und das einzige, was man sah, war das ganze Zeug in und außerhalb ihres Bauches. Ein Zeichen, das Friedrich nicht unterschätzte, weshalb er den Bauern als erstes fragte: »Wer bist du, woher kommst du, wem gehört diese Kuh?« Und obwohl
    Gagliaudo kein Wort verstanden hatte, antwortete er im besten Idiom der Frascheta: Ich weiß nicht, ich war's nicht, ich hab nix damit zu tun, ich bin ganz zufällig da vorbeigekommen, die Kuh seh ich zum ersten Mal, ja, wenn du's mir nicht gesagt hättest, hätt ich gar nicht gewußt, daß es eine Kuh ist. Natürlich verstand auch Friedrich kein Wort, und so wandte er sich an Baudolino:
    »Du kennst doch diese tierische Sprache, sag mir, was er sagt.«
    Szene zwischen Baudolino und Gagliaudo, Übersetzung: »Er sagt, er wisse nichts von der Kuh, ein reicher Bauer in der Stadt habe sie ihm gegeben, damit er sie auf die Weide bringe, und das sei alles.«
    »Aber zum Teufel, die Kuh ist voller Getreide, frag ihn, wie das kommt?«
    »Er sagt, daß alle Kühe, nachdem sie gefressen haben und bevor sie verdaut haben, voll von dem sind, was sie gefressen haben.«
    »Sag ihm, er soll hier nicht den Dummen spielen, sonst lasse ich ihn hängen, gleich hier an diesem Baum! Will er uns weismachen, in diesem Kuhdorf, in diesem Gauner- und
    Banditennest geben sie den Kühen immer Getreide zu fressen?«
    Gagliaudo: »Per mancansa d'fen e per mancansa d'paja, a mantunuma er bestii con dra granaja ...E d'iarbion.«
    Baudolino: »Er sagt, nein, nur jetzt, wo sie kein Heu haben wegen der Belagerung. Und es sei auch nicht alles Getreide, es seien auch trockene Arbioni dabei.«
    »Arbioni?«
    »Erbsen.«
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    »Teufel nochmal, ich werfe ihn meinen Falken vor, meinen Hunden! Was soll das heißen, daß sie kein Heu haben, aber Getreide und Erbsen?«
    »Er sagt, sie hätten in der Stadt alle Kühe der Gegend
    versammelt, und so könnten sie jetzt Schnitzel essen bis zum Weltuntergang, aber die Kühe hätten das ganze Heu gefressen, und wenn die Leute Fleisch kriegen könnten, würden sie kein Brot mehr essen und Erbsen schon gar nicht, und darum
    verfütterten sie einen Teil des Getreides, das sie noch hätten, an die Kühe. Er sagt, bei ihnen sei es nicht so wie hier bei uns, wo wir alles hätten, sie müßten sich ihre Vorräte gut einteilen, weil sie arme Belagerte seien. Und er sagt, eben deswegen hätten sie ihm die Kuh zum Auf-die-Weide-Rausbringen gegeben, damit sie ein bißchen frisches Gras in den Magen kriegt, weil immer nur dieses Körnerzeug, davon werde sie krank und kriege die

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