Baudolino
verlor.
Baudolino hing immer mehr an diesem Vater, der fortfuhr, seinen imperialen Traum zu verfolgen, wobei er immer mehr riskierte, seine Länder nördlich der Alpen zu verlieren, um ein Italien unter Kontrolle zu halten, das ihm auf allen Seiten entglitt. Eines Tages dachte sich Baudolino, daß in der prekären Lage, in der sich Friedrich befand, der Brief des Priesters Johannes ihm vielleicht helfen könnte, sich aus dem
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lombardischen Sumpf zu befreien, ohne daß es so aussah, als ob er auf etwas verzichtete. Also der Brief des Priesters ein bißchen wie die Kuh des Gagliaudo. Daher versuchte er mit ihm darüber zu sprechen, aber der Kaiser war schlechter Laune und sagte, er habe ernsthaftere Dinge zu tun, als sich mit den senilen Phantasien seines Onkels Otto selig zu beschäftigen.
Sodann erteilte er ihm einige neue Aufträge, die Baudolino fast die ganzen nächsten zwölf Monate lang hin und her über die Alpen führten.
Im Mai Anno Domini 1176 erfuhr Baudolino, daß Friedrich sich in Como aufhielt, und wollte dort zu ihm stoßen. Während der Reise wurde ihm gesagt, das kaiserliche Heer sei inzwischen auf dem Weg nach Pavia, und so bog er nach Süden ab, um ihm auf halber Strecke zu begegnen.
Er begegnete ihm Ende Mai am Ufer der Olona, nicht weit von der Festung Legnano, wo wenige Stunden zuvor die Heere des Kaisers und der Liga versehentlich zusammengestoßen waren, ohne daß eines der beiden irgendwie Lust gehabt hätte, dem anderen eine Schlacht zu liefern, wozu sich nun aber beide gezwungen sahen, um ihre Ehre nicht zu verlieren.
Kaum war Baudolino am Rande des Schlachtfelds angelangt, sah er einen Fußsoldaten, der mit einer langen Pike auf ihn zugerannt kam. Er gab seinem Pferd die Sporen, als wollte er ihn niederreiten, in der Hoffnung, ihn zu erschrecken. Der Soldat erschrak in der Tat, fiel auf den Rücken und ließ die Pike fahren. Baudolino sprang vom Pferd und griff sich die Pike, da begann der andere zu schreien, er werde ihn umbringen, stand auf und zog einen Dolch aus dem Gürtel. Allerdings schrie er im Dialekt von Lodi. Baudolino hatte sich an den Gedanken
gewöhnt, daß die Lodianer auf Seiten des Kaisers standen, und so rief er, während er sich den offensichtlich Verrückten mit der Pike vom Leibe hielt: »Was machst du denn, du Idiot, ich bin doch auch mit dem Kaiser!« Darauf der andere: »Eben,
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deswegen töte ich dich!« Da fiel Baudolino ein, daß Lodi inzwischen zur Liga übergewechselt war, und er fragte sich: Was mache ich, töte ich ihn, weil die Pike länger ist als sein Dolch? Aber ich habe noch nie jemanden getötet! Nach kurzem Zögern stieß er ihm die Pike so zwischen die Beine, daß der Mann rücklings zu Boden fiel, und setzte ihm die Waffe an die Kehle. »Nicht töten, dominus, ich habe sieben Kinder, und wenn ich weg bin, müssen sie gleich morgen verhungern«, rief der Lodianer. »Laß mich laufen, was kann ich den Deinen schon Böses tun, du hast doch gesehen, daß ich mich übertölpeln lasse wie ein Tropf!«
»Daß du ein Tropf bist, sieht man von weitem, aber wenn ich dich mit einer Waffe in der Hand rumlaufen lasse, kannst du durchaus etwas anrichten. Laß deine Hose runter!«
»Meine Hose?«
»Jawohl, ich schenke dir dein Leben, aber ich lasse dich mit den Eiern im Wind rumlaufen. Dann will ich sehen, ob du die Stirn hast, wieder in die Schlacht zurückzukehren, oder ob du nicht lieber gleich zu deinen verhungerten Kindern läufst.«
Der Mann streifte sich die Hose ab und rannte so schnell er konnte über die Felder davon, nicht so sehr aus Scham, sondern weil er fürchtete, ein feindlicher Reiter könnte ihn von hinten sehen, könnte denken, er zeige ihm aus Verachtung das blanke Gesäß, und könnte ihn nach Türkenart pfählen.
Baudolino war froh, daß er niemanden hatte töten müssen, aber nun kam ihm ein Reiter entgegengesprengt, der wie ein Franzose gekleidet und daher sichtlich kein Lombarde war. So entschloß er sich, seine Haut teuer zu verkaufen, und zog das Schwert. Der Reiter kam an seine Seite galoppiert und rief:
»Was machst du denn, Blödmann, siehst du nicht, daß wir's euch Kaiserlichen heute mal richtig gezeigt haben? Geh nach Hause, da hast du's besser!« Rief's und galoppierte weiter, ohne Händel
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zu suchen.
Baudolino saß wieder auf und fragte sich, wohin er jetzt reiten sollte, denn von dieser Schlacht begriff er nun wirklich gar nichts, und bisher hatte er nur Belagerungen erlebt, bei denen man klar
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