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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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zugeknöpft gewesen. Zurück im
Schlafzimmer, hatte Annika sich vor das Kruzifix gekniet. Bitte, lieber Gott,
lass nichts Schlimmes passiert sein. Mach, dass alles gut ist. Bitte, bitte.
Sie hatte nicht mehr aufgehört zu beten, völlig benommen war sie gewesen. Doch
in ihrem Herzen hatte sie längst gewusst, dass ihre Gebete nicht erhört werden
würden – nicht erhört werden konnten –, weil es dafür bereits zu spät gewesen
war.
    Als Annika ins Wohnzimmer trat, nahmen ihre Mutter und Tante Ada sie
zunächst gar nicht wahr.
    »Was ist denn passiert?«, fragte sie.
    Etwas veränderte sich in Tante Adas Gesicht. Das Erschrecken
wandelte sich in Sorge und Mitgefühl. Sie zögerte.
    »Es hat einen Unfall auf dem Maisfeld gegeben.«
    Sie streckte ihr den Arm entgegen, doch Annika wich aus. Ihr wurde
übel. Bitte, lieber Gott, lass nichts passiert sein.
    »Was ist mit Clemens? Geht es ihm gut?«
    Ihre Mutter und Tante Ada tauschten einen Blick.
    »Er ist sehr schwer verletzt. Die Ärzte können nicht sagen, ob er es
schaffen wird.«
    Tante Ada sank kraftlos auf die Sofalehne.
    »Wir können nur beten«, sagte sie.

3
    Als der untersetzte Streifenbeamte hinausging, um frischen
Kaffee zu holen, war Hauptkommissar Bernhard Hambrock alleine im Raum. Zum
ersten Mal seit er morgens seine Wohnung verlassen hatte, war er nicht umringt
von Menschen. Er blickte sich in der fremden Umgebung um. Es war ein Gruppenraum
wie jeder andere: stapelbare Bürostühle, ein graublau melierter Teppichboden,
in der Ecke ein Flipchart. Trübes Licht fiel von draußen herein.
    »Verfluchter Mist.«
    Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, stand auf und trat ans
Fenster. Draußen, auf dem Parkplatz der Coesfelder Polizeiwache, führte ein
Beamter die Zeugin, die sie gerade vernommen hatten, zu einem Streifenwagen.
Die Frau wirkte völlig verstört, die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, und
der Beamte musste sie stützen. Sie war die Nachbarin des Mordopfers, um das es
hier ging. Rein zufällig hatte sie am Morgen die Leiche gefunden und danach
sofort die Polizei verständigt.
    Er öffnete das Fenster einen Spalt weit und atmete die kühle Luft
ein. Coesfeld!, dachte er. Als hätten wir nicht ohne diesen Mordfall schon
genug zu tun.
    Das Polizeipräsidium Münster, wo er und seine Ermittlungsgruppe
arbeiteten, war zuständig fürs gesamte Münsterland. Sie wurden von den
Polizeistellen der umliegenden Landkreise hinzugezogen, wenn ein Kapitalverbrechen
vorlag, wie auch bei diesem Tötungsdelikt in Coesfeld.
    Bis heute Morgen hatte er sich noch hartnäckig an die Hoffnung
geklammert, in der nächsten Woche wie geplant ein paar Tage freizumachen. Aber
wie es aussah, konnte er sich das abschminken. Eigentlich wollte er kommenden
Mittwoch mit seiner Frau zu ihren Eltern in die Niederlande fahren und danach
ein ausgedehntes Wochenende in Amsterdam verbringen. Nach langer Zeit mal
wieder. Noch am Frühstückstisch hatte er Erlend versichert, dass dieses Mal bestimmt
nichts dazwischenkommen würde. »Ich habe den Urlaub schon vor Wochen
eingereicht. Glaub mir, da kann nichts mehr passieren.«
    Erlend hatte sich gefreut wie ein Kind. Sie musste über sich selbst
lachen, so überglücklich, wie sie war.
    »Ach, Bernhard, ich kann es kaum glauben. Noch acht Mal schlafen,
und dann haben wir tatsächlich fünf Tage ganz für uns allein.« Sie hatte seinen
Kopf gepackt und ihm einen Kuss auf den Mund gedrückt. »Wir bleiben nur einen
Tag bei meinen Eltern in Groningen, dann fahren wir weiter, versprochen.
Vielleicht warten wir auch nur, bis sie schlafen, und türmen durchs Klofenster.
Wir könnten in einer billigen Absteige unterkommen. Oder wir fahren gleich
weiter nach Amsterdam. Dann pfeifen wir aufs Tempolimit und rasen über die Autobahn,
und mit der Polizei liefern wir uns wilde Verfolgungsjagden – ach, das wird
alles ganz herrlich!« Sie hörte gar nicht mehr auf zu reden, bis Hambrock
irgendwann aufsprang und ihr lachend den Mund zuhielt.
    Dieser Kurzurlaub wäre dringend nötig gewesen. In letzter Zeit
hatten sie wenig Zeit füreinander gehabt. Hambrocks Beruf war schuld daran.
Immer dann, wenn sie etwas unternehmen wollten, war seine Arbeit
dazwischengekommen. Er konnte mittlerweile bereits vorhersagen, wann der
nächste Einsatz anfallen würde – er brauchte sich dafür nur mit Erlend zum Kino
zu verabreden, und schon ging um kurz vor acht das Diensthandy.
    Er und seine Frau brauchten dringend Zeit füreinander. Um Dinge

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