Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
anderen weiß mit angeschlagenem Rand.
Direkt vor ihm der Schreibtisch mit dem unvermeidlichen Bildschirm und einem Foto der Familie aus besseren Tagen. Horst Görgen wirkte hierauf wie das Ebenbild seines ältesten Sohns, sah man einmal von seinem damals schon lichten Haar ab. Neben Roland, den er sofort wiedererkannte, befanden sich noch zwei Kinder und Renate Görgen auf dem Bild. Die beiden, anscheinend Alexander und Anne, waren jünger als ihr Bruder und kamen körperlich mehr nach der Mutter. Das Foto zeigte sie als eine attraktive Frau mit intelligenten Augen, einem angenehmen Lächeln im hübschen Gesicht und dicken braunen Locken, die sie nach der Mode der Achtzigerjahre zu einer riesigen Mähne frisiert hatte. Ihr Mann hatte seinen Arm um sie gelegt und strahlte vor Glück. Lichthaus würde herausfinden müssen, was seitdem geschehen war. Er musste die Tochter Anne und vor allem Alexander erreichen.
Stöhnend streckte er sich und vertrieb die Müdigkeit, die ihn in dem überheizten Raum zu übermannen drohte. Draußen sah er Roland wild gestikulierend einen Angestellten anschreien, der in Metzgerkleidung in der Sonne stand und rauchte. Als Görgen sich wegdrehte und ging, zeigte der andere ihm den Mittelfinger und schnippte ihm die Kippe hinterher.
Lichthaus grinste und ging zu Steinrausch, der seine Befragungen nebenan im Sozialraum beendet hatte, und rief Siran hinzu. Die Ergebnisse waren dünn. Die Verkäuferinnen im Hofladen arbeiteten nur Teilzeit und kannten die Verhältnisse kaum. Alle wussten von der Alkoholkrankheit Renate Görgens, die offenbar auch nicht mehr zu übersehen war. Die Verfeindung von Horst Görgen und seinem jüngeren Sohn Alexander war schon lange Allgemeinwissen. Von anderen Streitigkeiten war ihnen nichts bekannt.
Nach kurzer Diskussion kamen sie überein, dass Siran mit einigen Streifenbeamten die Nachbarn checken und die Techniker das Büro unter die Lupe nehmen sollten. Lichthaus hielt es für das Beste, wenn Steinrausch ins Präsidium fuhr, um ein Profil und eine Vita des Toten zu erstellen. Er selbst würde noch Gregor Billen über die Situation beim Auffinden der Leiche befragen und es bei Renate Görgen versuchen. Eine erste Besprechung legte er für fünfzehn Uhr fest.
*
Gregor Billen war klein gewachsen, vielleicht einen Meter siebzig groß. Ein Zwerg im Vergleich zu seinem Chef. Doch als er sich jetzt mit blutiger Schürze an den leeren Zerlegetisch lehnte, sah man ihm an, dass er es gewohnt war, lange und körperlich hart zu arbeiten. Die Hände waren dick und schwielig, die Arme muskulös. Lichthaus hatte ihn nach einigem Suchen in der Hofschlachterei gefunden, wo er in einem blutbefleckten, feuchtwarmen Raum in Gummistiefeln herumhantierte. Der Metzger hatte zwei Tätowierungen auf den Unterarmen, die unprofessionell in die Haut gestochen worden waren. Sie erinnerten Lichthaus augenblicklich an diverse Knasttattoos und er rechnete damit, den Mann in ihrer Kartei zu finden.
»Haben Sie schon mal gesessen?« Die Frage war raus, bevor er sich bremsen konnte.
»Tolle Begrüßung.«
»Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht, als ich Ihre Tattoos gesehen habe. Sie lieben Ihren Juniorchef, was? Ich habe Ihre Darbietung vorhin auf dem Hof beobachtet.«
Billen grinste entspannt. »Er ist eben ein Arschloch, doch das wissen alle.« Sein Blick wanderte zu seinen Armen. »Ist über zwanzig Jahre her meine bewegte Jugend. Schauen Sie mal in die Akten. Hab sechs Monate Jugendstrafe wegen Diebstahls gekriegt.« Er lehnte sich bequem zurück und zog die Schutzhaube von den raspelkurz geschnittenen braunen Haaren. »Ich bin sauber und schon eine Ewigkeit nur noch Metzger.«
»Wo haben Sie vorher gearbeitet?« Die Umgebung war Lichthaus unangenehm. Der Geruch nach Fleisch, Fett und Blut erinnerte ihn an den Toten, und er versuchte, möglichst nichts zu berühren.
»Gelernt hab ich in Trier, dann war ich über zehn Jahre in Schweich in einer Metzgerei. Hab mich da auf die Wurstherstellung spezialisiert und den Meister gemacht. Als mein Chef aus Altersgründen aufgehört hat, bin ich durch Zufall zu den Görgens gekommen und bau seitdem die Hofschlachterei weiter aus. In Schweich hätt ich auch gerne den Laden übernommen, aber die Bank wollte mir kein Geld geben. Wegen’m Knast, Sie wissen schon.«
»Das klebt an einem bis zur Bahre. Also, Sie haben ihn im Stall aufgehängt an einem Balken gefunden. Wieso? Sie arbeiten doch hier und nicht im Stall?«
»Ich fang
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