Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
idealisierten Bauernhofs auf dem Kinderkanal. Die lange, kopfsteingepflasterte Zufahrt und der Hof zwischen den Gebäuden wurden zu beiden Seiten von uralten Kastanien eingerahmt, die nun die Äste nackt in den Himmel reckten. Zweifelsohne hatten sie für den Namen des Hofs Pate gestanden und es war gut vorstellbar, wie idyllisch alles aussah, wenn die Blätter riesige Kronen bildeten, doch jetzt schwankte nur eine einsame Krähe auf einem dünnen Ast. Die Allee traf genau auf das ursprüngliche Bauernhaus, ein sogenanntes Trierer Einhaus. Einst hatten sich unter dem gemeinsamen Dach dem Wohnhaus die Scheune und dieser unmittelbar der Stall angeschlossen. Das vorbildlich renovierte Gebäude beherbergte nun den Hofladen, auf den ein Schild hinwies. Auch auf dem Platz vor Scheune und Stall war das Kopfsteinpflaster erhalten geblieben, wobei hölzerne Bänke zum Verweilen einluden.
Eine Gruppe von Leuten, offensichtlich die Angestellten des Hofs, stand unschlüssig herum und beobachtete die Geschehnisse. Lichthaus sah zwei Männer mit Metzgerschürzen, die schweigend an ihren Zigaretten zogen. Daneben tuschelten Frauen miteinander, verstummten aber, als sie seine Blicke bemerkten.
In einiger Entfernung vom Laden befand sich das neue Wohnhaus der Görgens. Ein im Vergleich zum alten Hof hässlicher Bau. Weder alt noch neu wirkte es mit ausladendem Walmdach und geschwungenen Gauben seelenlos, auch wenn hier alles vorbildlich gepflegt war. Gegenüber erstreckten sich die modernen Wirtschaftsgebäude. Siran wartete vor dem riesigen Stallgebäude, in dessen Schatten ein winzig wirkender Hühnerpferch lag, in dem ein Hahn samt seinen Hennen umherstolzierte. Gleich daneben grasten einige Ziegen und ein Esel, offensichtlich der Streichelzoo für die Kinder der Kunden. Ein Idyll im Dunst, den die nun langsam durchbrechende Sonne vom auftauenden Boden aufsteigen ließ. Sie überquerten mit wenigen Schritten den Hof hinüber zum Stall, zwängten sich zwischen Streifenwagen und Rettungsfahrzeug durch und bückten sich gerade unter dem Absperrband hindurch, als zwei Streifenpolizisten herauskamen und zu ihrem Wagen gingen. Ihre Blicke waren ausdruckslos, die Mienen versteinert.
Siran lächelte schwach. »Ich habe den Fall eben übernommen. So etwas habe ich noch nicht gesehen. So brutal.«
»Man gewöhnt sich daran«, log Lichthaus. »Wo ist der Tote?«
»Liegt oder besser gesagt hängt da drin. Die Spusi ist vor etwa zehn Minuten rein.« Siran deutete mit der Hand auf den Stall, durch dessen offenes Rolltor man Schweine quieken hörte.
»Was sagt der Arzt?«
»Ärztin. Mausetot. Unnatürliche Todesursache.«
»Okay. Wer genau ist dieser Görgen? Ist die Familie informiert? Was ist mit demjenigen, der die Leiche gefunden hat?«
Siran konzentrierte sich. »Horst Görgen ist dreiundsechzig Jahre alt, verheiratet. Drei erwachsene Kinder. Der älteste Sohn leitet seit einiger Zeit den Hof gemeinsam mit dem Vater. Roland. Er wusste schon Bescheid, wohnt auch gleich da hinten in einem der Häuser. Ihr müsst dran vorbeigekommen sein. Er war ziemlich geschockt und versucht gerade, seine Mutter zu wecken. Anscheinend liegt die sturzbetrunken in der Kiste. Ist wohl der Normalfall. Er war jedenfalls nicht sonderlich überrascht, nur stinksauer. Dann gibt es noch eine Tochter, die Anne heißt, und einen zweiten Sohn namens Alexander. Mehr habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Gefunden hat die Leiche Gregor Billen, einer der Metzger.«
Lichthaus nickte. »Gut. Ruf die Angestellten zusammen, sofern sie nicht da drüben herumstehen. Wir müssen alle auf dem Hof befragen. Keiner kann vorher weg. Stell auch fest, ob jemand fehlt.«
Wie besprochen informierte er Staatsanwalt Brauckmann, der zusicherte, sich sofort auf den Weg zu machen. Dann zog er sich Überschuhe über die Gummistiefel und trat mit Steinrausch durch eine Folienschleuse, die von den Technikern installiert worden war, in das schummrige Halbdunkel.
Die weitläufige Stallung mit Freilaufbereich und Boxen links und rechts des Mittelgangs war leer, wodurch die Fressgitter dem Ganzen den Eindruck eines Gefängnistrakts verliehen. Nur zwei Kälber befanden sich vereinsamt in einem Pferch und tranken an einer Milchflasche. Nach Lichthaus’ Schätzung war das Gebäude wohl an die fünfzig Meter lang und bot problemlos Platz für Dutzende Rinder. Der hohe Giebel war teilweise offen und das rohe Gebälk war zu sehen, hier und da klebte ein Schwalbennest. In der Mitte waren
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