Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Geschlagenwerdens, der Verzweiflung, sein Blut unaufhaltsam aus sich herausrinnen zu spüren, und des Wegdämmerns in den Tod.
Steinrauschs Stimme klang hohl, als er jetzt sprach, doch riss sie ihn aus seiner Erstarrung. »Da bin ich schon über dreißig Jahre bei diesem Verein, aber so etwas habe ich noch nie gesehen.« Er seufzte. »Lass uns loslegen.«
Lichthaus nickte. »Wir sollten feststellen, wann Görgen in den Stall gegangen und wann er gestorben ist.« Er schaute auf den Toten und wandte sich an Spleeth, dessen Leute auch an die Arbeit gingen. Eigentlich hätte er oder der Staatsanwalt die Tatortarbeit vorgeben müssen, wie immer verzichtete er jedoch darauf. Spleeth war der Profi. »Wie lange hängt der wohl hier?«
Der Techniker betrachtete den Tatort. »Eingedenk der Umgebungssituation schätze ich wenigstens fünf Stunden. Eher mehr. Er ist ja richtig ausgeblutet. Da die Blutlache, die von den Schweinen übrig gelassen worden ist, weitgehend durchgetrocknet ist, denke ich fünf Stunden. Wenn wir ihn abnehmen, schauen wir nach den Leichenflecken. Dann kann ich Genaueres sagen.« Er nickte bedächtig und instruierte den Fotografen.
Lichthaus und Steinrausch traten ein wenig zurück.
»Was der Mann noch an sich trug, deutet nicht auf Schlafbekleidung, also wird er abends und nicht nachts hierhergekommen sein. Warten wir mal ab, was die Rechtsmedizin sagt.« Steinrausch sah zu dem Ermordeten hinüber, zog die Mütze ab und kratzte seine Glatze. »Wie lange braucht man, um einen Menschen so zuzurichten? Selbst das Aufhängen war eine Plackerei. Görgen war ja kein Leichtgewicht. Kann das überhaupt einer allein bewerkstelligen?«
»Ich denke schon, wenn er so etwas wie einen Flaschenzug benutzt hat. Er zieht den Körper nach oben, befestigt das Seil, an dem er jetzt hängt, um den Balken und löst die Rutschsperre. Görgen fällt in seine jetzige Position. Der Flaschenzug ist entlastet und spielend zu entfernen. Sobald der Tote weg ist, soll Spleeth das einmal simulieren.«
»Auf jeden Fall war es sehr riskant. Es hätte doch jederzeit jemand hereinkommen können.«
Lichthaus nickte. »Es sei denn, der Täter war sich sicher, dass niemand außer Görgen abends in den Stall geht.«
»Dann kennt er sich aus.«
»Richtig. Aber vielleicht war es ihm auch egal. Wenn ich mir die Verletzungen ansehe, muss der Täter eine ziemliche Wut gehabt haben. Ein Irrer.« Er dachte noch einen Augenblick nach, wobei sein Blick automatisch auf der bedauernswerten Gestalt des Toten ruhte, die sich langsam am Seil drehte. »Man braucht wirklich nicht viel Fantasie, um zu vermuten, dass das hier eine Beziehungstat war. Die verklebten Augen könnten darauf hinweisen, dass der Mörder nicht von Görgen erkannt werden wollte.«
»Oder es soll so aussehen«, warf Steinrausch ein.
»Oder das. Fangen wir ganz von vorne an und befragen das Umfeld.« Er wandte sich an Spleeth, der immer noch den Fotografen einwies. »Wissen Sie schon, wie er hergeschafft wurde?«
»Wahrscheinlich geschleppt. Wir haben Schleifspuren im Mittelgang gefunden. Die sind bereits abgedeckt und werden nachher genauer untersucht. Es scheint so, als ob der Tote in der vorderen Hälfte des Stalls überwältigt und dann hierher gebracht wurde. Die Auswertung wird nicht einfach. Da befinden sich Unmengen an Spuren. Da der Stall nur gefegt und nicht geputzt wird, können die teilweise seit Jahren in einer Ecke liegen.« Er schaute die Kollegen verkniffen an.
»Das ist schlecht. Aber sehen Sie mal zu, was drin ist.«
Die Schultern zuckend verschwand Spleeth. Da sie der Spurensicherung nur im Weg standen, ging Lichthaus zusammen mit Steinrausch zurück zum Eingang. Es tat ihnen gut, wieder in die frische Luft und die nunmehr scheinende Sonne zu treten. Steinrausch wollte sich auf den Weg machen, um Siran bei der Befragung der Angestellten zu helfen, doch Lichthaus zog ihn zur Seite.
»Schau zuerst mal, was mit dem Sohn und der Ehefrau ist. Ich würde mir die beiden gerne so schnell wie möglich vornehmen. Trennt sie voneinander, sofern Frau Görgen ansprechbar ist, und versiegelt die Büros.«
Am Rettungswagen warteten eine junge Ärztin und zwei Sanitäter. Er grüßte und stellte sich vor. »Ich brauche den Totenschein.«
Die Frau griff wortlos in die Tasche und reichte ihm den Schein. Ihr Gesicht wirkte blass unter den blonden Haaren.
»Was können Sie mir zur Todesursache sagen?«
Unfreundlich verzog sie die Miene und leckte sich kopfschüttelnd
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