Beautiful Americans - 03 - Leben á la carte
sind wir. Gott sei Dank - gleich hätte ich meine eigene Hand angeknabbert. Ich bin am Verhungern. Nach dir, ma petite.« André lässt mir den Vortritt in einen großen überdachten Markt ein Stückchen weiter die Rue Bretagne hinunter. Der Markt wird Marché des Enfants Rouges genannt. Die schmiedeeisernen Tore stehen offen und führen zu vier oder fünf Marktgassen mit Ständen. Ein paar verkaufen Käse, Obst und Gemüse oder Blumen, aber die meisten bieten ihre eigene Küche à la carte an: italienisch, marokkanisch, libanesisch, Sandwiches, Sushi. André führt mich in eine begrünte Ecke ganz hinten auf dem Markt, mit pinken Tischdecken und einem reetgedeckten Sonnendach über der Bar und der Küche.
»Voulez-vous le mariniertes und gegrilltes Hühnchen, Mademoiselle?«
Es riecht köstlich. André zieht einen Stuhl für mich unter dem Tisch hervor und wir setzen uns gegenüber. Er ruft die Bedienung, bei der es sich gleichzeitig um die Köchin handelt und die anscheinend eine Bekannte von ihm ist. Nachdem er für uns beide Hühnchen mit Reis bestellt hat, plus einem Red-Stripe-Bier für sich selbst, wendet er sich wieder mir zu und flüstert: »Sie kommt aus Martinique. Sie glaubt mir nicht, dass ich kein Kreole bin. Aber ich bin nun mal Brite, mon dieu!«
Ich kichere. »Dein Französisch ist echt der Hammer. Wie hast du es geschafft, dass es so natürlich klingt?«
»Französischer Freund. Also früher mal. Am besten lernt man eine Fremdsprache, indem man mit einem Muttersprachler schläft«, erklärt André geistesabwesend, während er seine Serviette auf seiner abgetragenen Lederhose ausbreitet und die Kellnerin sein Bier und mein Glas Wasser auf den Tisch stellt. Er blickt auf und zwinkert mir zu. »Aber hey, das weißt du ja genauso gut wie ich, oder? Du hast schließlich selbst einen.«
»Hmm«, sage ich. »Ja, schon.«
»Und ist dein Französisch nicht besser geworden, seit du Thomas kennst?«
Darüber denke ich nach, während ich einen Schluck von meinem Wasser trinke. »Doch, ich glaube schon. Aber Thomas kann Englisch und spricht meistens in meiner Muttersprache mit mir.«
»Ja, so sind die Franzosen«, bemerkt André. »Wollen eben immer angeben und beweisen, dass sie überlegen sind, weil sie deine Sprache besser können als du ihre. Ich wette, Thomas rennt immerzu um dich herum und zitiert dabei Shakespeare und Co. Stimmt's?«
Lachend schüttle ich den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Thomas' Englisch ist ungefähr genauso gut wie mein Französisch. Aber aus irgendeinem Grund bemühe ich mich gar nicht, mit ihm zu üben. Und die letzten Tage ... habe ich ihn nicht mal gesehen. Wir haben kaum miteinander gesprochen, also auch nicht auf Französisch.« Das hatte ich eigentlich leichthin sagen wollen, aber es klingt bitter. Ich werfe André einen entschuldigenden Blick zu. Ich sollte uns seine Einladung nicht vermiesen, indem ich hier und jetzt meine schwelenden Zweifel über Thomas und mich ausbreite.
»Jedenfalls«, setze ich an, als André zeitgleich fragt: »Willst du darüber reden?«
Wir müssen beide lachen und blicken zur Küche hinüber, um zu sehen, wo unser Essen bleibt.
»Äh, nein«, antworte ich. »Lass uns lieber über dich sprechen. Oder das Underground. Mir ist eigentlich alles recht, Hauptsache es geht nicht um mich.«
»Sehr gern. Ich bin ja so froh, dass du mich heute aus der Wohnung gelockt hast. Ich habe nämlich gerade zu Hause meine Biografie für meine Webseite geschrieben. Ich kam mir langsam schon ganz selbstverliebt vor, wie ich da so stundenlang meine Lebensgeschichte verfasst habe. Ich habe mich sogar schon gefragt, ob ich meine Kindheit nicht etwas dramatischer gestalten und auf das harte Pflaster in Kingston verlegen soll. Kann nicht schaden - auch wenn es schrecklich wäre, wenn jemand, der meine Eltern kennt, herausfindet, dass ich ganz langweilig in London aufgewachsen bin, wo alles viel zu sicher und behütet ist.«
»Du hast eine eigene Webseite?«, frage ich.
André grinst. »Ja. Ein Freund hat sie für mich gemacht. Einer der vielen Gründe, warum es ziemlich toll ist, mit einem Computerfreak zusammen zu sein. Ab und zu helfen sie einem beim Online-Marketing. Ich kann ihm sagen, dass er auch eine für dich erstellen soll. Als Künstler musst du lernen, dich selbst zu verkaufen, Mädchen!« André kneift mir über den Tisch hinweg in die Wange.
»Klingt so, als hättest du ziemlich viele Freunde!«, sage ich. Ich hasse mich selbst, als ich höre,
Weitere Kostenlose Bücher