Beck Wissen - Antimaterie - Auf der Suche nach der Gegenwelt
„Anti-Materie“ zu lesen -und dazu: „Erster Vorstoß der Wissenschaft in die Gegenwelt“. Der Hintergrund: Einem Forscherteam um den Physiker Walter Oelert war es gelungen, im LEAR-Speicher- ring bei CERN erstmals Antiwasserstoffatome herzustellen. Antiprotonen und Positronen waren erstmals zu ganzen Atomen der einfachsten Bauart zusammengefügt worden.
Abb. 11: Entstehung und Nachweis von Antiwasserstoffatomen in Genf 1996. Die Antiprotonen im Speicherring LEAR (1) werden durch eine Düse mit Xenonatomen beschossen (2). Bei der Begegnung der Antiprotonen mit Xenonatomen entstehen Elektron-Positron-Paare. Die Positronen vereinigen sich gelegentlich mit den Antiprotonen zu An- tiwasserstoffatomen. Während die Antiprotonen wegen ihrer elektri- schen Ladung durch den Ablenkungsmagneten weiter im Speicherring gehalten werden (3), bewegen sich die elektrisch neutralen Antiwasserstoffatome geradeaus (4). Beim Aufprall auf einen Siliziumdetektor (5) werden sie zerstört. Die dabei entstehenden Positronen und Elektronen zerstrahlen zu Gammaquanten, die registriert werden. Das Antiproton erreicht nach 20 milliardstel Sekunden einen zweiten De- tektor (6). Der Computer (7) registriert die zeitliche Abfolge der Ereignisse. (Aus: DER SPIEGEL 3/1996, S. 176)
Bereits in den achtziger Jahren war der Vorschlag entstanden, dies am LEAR-Speicherring (LEAR = Low Energy Antiproton Ring) bei CERN zu versuchen. Das Problem hatte immer darin bestanden, daß einerseits zu wenig Antiteilchen zur Ver- fügung standen, andererseits die Energien der Teilchen bei ih- rer Erzeugung zu hoch waren, um sich ohne weiteres zusam- menfügen zu lassen. Man brauchte eine Idee, wie man das Kunststück unter diesen Bedingungen zustande bringen könn- te. Auf einer Konferenz in München hörte nun ein Mitarbeiter von Oelert den Vortrag des Amerikaners Stan Brodsky. Er hatte berechnet, unter welchen Bedingungen man Positronen und Antiprotonen zu Antiwasserstoffatomen zusammenfügen könnte. Daraufhin beschloß die Gruppe um Oelert, ein gerade laufendes Experiment so umzubauen, daß die Erzeugung von Antiwasserstoffatomen möglich wurde.
Das Experiment lief folgendermaßen ab: Zunächst wurden Antiprotonen erzeugt — ein Vorgang, der bereits seit dem Jahre 1955 bekannt war und gut funktionierte. Bei dem CERN-Experiment entstanden jeweils einige Milliarden Antiprotonen, die in einen Speicherring eingespeist wurden. Dies ist erforderlich, weil andernfalls durch Vereinigung mit Protonen binnen kürzester Zeit alle Antiprotonen wieder zerstrahlt wären. Magnetische Felder verhindern dies - allerdings nur für die begrenzte Zeit von einigen Minuten. In den Spei- cherring mit den Antiprotonen wird nun das Edelgas Xenon eingeleitet. Beim Zusammenprall der Antiprotonen mit den Xenon-Atomen entstehen paarweise Positronen und Elektronen. Damit sind die Bausteine der Antiwasserstoffatome, nämlich die Antiprotonen und die Positronen in enger räumlicher Nachbarschaft vorhanden und haben somit die Chance, sich zu Antiwasserstoffatomen zusammenzufügen. Diese sind natürlich elektrisch neutral und werden - anders als die Antiprotonen -nicht mehr von dem Magnetfeld am Speicherring beeinflußt; sie bewegen sich geradeaus weiter. Jetzt muß der Nachweis geführt werden, daß es sich tatsächlich um Atome des Antiwasserstoffs handelt. Zu diesem Zweck treffen die Atome auf einen Siliziumdetektor. Die dort vorhandenen ge- wöhnlichen Elektronen und die Positronen der Antiwasserstoff- atome vernichten sich unter Aussendung von zwei Gammaquanten der bekannten Energie, die der Masse der zerstrahl- ten Teilchen entspricht. Der Kern des Antiwasserstoffatoms, das Antiproton, bleibt übrig und erreicht in fünf Metern Di- stanz (nach 20 milliardstel Sekunden) einen weiteren Detektor, wo es nachgewiesen werden kann. Per Computer müssen also in einem genau berechneten zeitlichen Abstand die bei- den Ereignisse Elektron-Positron-Zerstrahlung und Antiprotonennachweis eintreten. Dann kann man davon ausgehen, daß tatsächlich Antiwasserstoffatome entstanden waren.
Mit dem gelungenen Nachweis von Antiwasserstoffatomen haben die Forscher um Oelert den ersten wirklichen Schritt in die Antiweit getan. Auf die Frage, was denn an dem Antiwas- serstoff so spannend sei, antwortete der Physiker: „Was wir hier geschaffen haben, ist das erste Element im chemischen Periodensystem der Antielemente. Wir haben gezeigt, daß es Antiatome wirklich gibt.“ {4}
Vom Antiatom
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