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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mainzer
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Gravitation ersetzt. Das Universum geht in eine Phase gravitativ gebremster Expansion über, wie sie von den Standardmodellen nach 10 -35 Sekunden beschrieben wird (vgl. Kap. III.3). {43}
    Mit der Theorie inflationärer Materieerzeugung aus dem Quantenvakuum lassen sich einige Voraussetzungen und Nebenbedingungen der relativistischen Standardmodelle erklären. So wird jede anfängliche Unregelmäßigkeit durch die extreme Ausdehnung eines sehr kleinen Bereichs zu Null gestreckt. Das Universum ist also so regelmäßig, wie im Kosmologischen Prinzip angenommen, weil es sich einmal inflationär aufgebläht hat. Analog werden beim Aufblasen eines schrumpeligen Luftballons Falten weggeglättet. Im Idealfall würde die Krümmung bei weiterem Aufblasen gegen Null gehen. Analog sagt die Theorie des inflationären Universums einen räumlichen Zustand verschwindender Krümmung voraus. Das erklärt, warum die Materiedichte im Universum heute nahezu der kritischen Dichte des euklidischen Modells entspricht. Die heutige globale Regelmäßigkeit des Universums schließt lokale Unterschiede z.B. einzelner Galaxien nicht aus. Sie werden durch lokale Fluktuationen von Quantenfeldern erklärt, die während der inflationären Expansion vergrößert wurden und aufgrund damit verbundener Dichteschwankungen den Keim für spätere Galaxienbildungen legten.
    Während vor der Symmetriebrechung der großen Vereinigung Materie in Form von Quarks sich in Antimaterie in Form von Antiquarks umwandeln konnte, gilt nach der Abtrennung der starken Wechselwirkung ein Erhaltungssatz (,Baryonenzahl‘), der diese Umwandlung ausschließt. Vor diesem Phasenübergang ist also eine geringe Durchbrechung des Erhaltungssatzes und ein damit verbundener schwacher Überschuß von Materie über Antimaterie möglich. Nachdem sich Materie und Antimaterie gegenseitig vernichtet hatten, ist ein kleiner Überschuß von Materie (z.B. Protonen) übriggeblieben, aus dem sich schließlich die Sterne, die Erde und das Leben auf der Erde entwickeln konnten. In einer künftigen Entwicklung des Universums könnte aber dieser „Überschuß“ an Materie, auf dem unsere Existenz beruht, wieder verfallen, wenn nämlich die Protonen wieder zerstrahlen. Bei einer mittleren Lebensdauer eines Protons von 10 31 Jahren erscheint die Verfallsfrist der Materie zwar gigantisch, aber immerhin physikalisch denkbar und experimentell nachweisbar.
    Wenn die Materialisation des heutigen Universums durch Symmetriebrechungen erklärt wird, dann müssen fundamentale Symmetrien in Form von Eichsymmetrien vorausgesetzt werden. Nach Werner Heisenberg ist daher (in platonischer Tradition) nicht die Materie, sondern die Symmetrie mathematischer Naturgesetze „die letzte Wurzel der Erscheinungen“. Carl Friedrich von Weizsäcker geht noch einen Schritt weiter, indem er Symmetrien der Natur als Näherungen aus einer tiefer liegenden Logik der Zeit ableitet. Damit sind Begründungskonzepte angesprochen, die den Begriff der Materie erst ermöglichen sollen. {44}

 
     
V. Materie in der Thermodynamik
     
     
    In der Thermodynamik des 19. Jahrhunderts wird Materie zunächst unter dem Gesichtspunkt der Wärmelehre untersucht. Über die Äquivalenz von Wärme und Arbeit führt der Weg zum 1. Hauptsatz von der Erhaltung der Energie und schließlich zum 2. Hauptsatz der Thermodynamik. In der statistischen Deutung Boltzmanns werden Erklärungsmodelle für die Entstehung von Ordnung im thermischen Gleichgewicht möglich. Die moderne Nichtgleichgewichtsthermodynamik liefert die Rahmenbedingungen für Selbstorganisationstheorien der Materie.
     
     
1. Materie in der Thermodynamik des Gleichgewichts
     
    Neben Elektrizität und Magnetismus war Ende des 18. Jahrhunderts die Wärme eine materielle Erscheinung, über deren Grundlagen sich die Physik noch durchaus im unklaren war. Ist Wärme ein eigener materieller Stoff, oder entsteht sie aus der Bewegung kleinster Stoffteilchen, vielleicht in einem Wärmeäther analog dem Lichtäther von Huygens? 1824 stellte Sadi Carnot die Theorie einer idealen Wärmekraftmaschine auf. Dabei sollte der Wärmestoff nicht verbraucht werden, sondern von einem heißen zu einem kalten Körper übergehen. Wärme war also nach Carnot ein unzerstörbarer Stoff und die Temperatur ein Niveau, das die potentielle Energie des Wärmestoffs bestimmte. Die Arbeitsleistung einer Wärmekraftmaschine kam nach Carnot dadurch zustande, daß eine unverändert bleibende Menge ,Caloricum‘ von

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