Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
einem höheren zu einem tieferen Temperaturniveau absinkt. Der Mediziner Julius Robert Mayer (1814–1878) postulierte eine einzige, universelle ,Kraft‘ der Natur, die sich in verschiedenen Formen wie Hitze und Bewegung darstellt, selbst aber unzerstörbar ist. Damit stellte er sich in die Tradition von Leibniz und Huygens, die einen Erhaltungssatz der mechanischen Energie vorausgesetzt hatten. 1842 veröffentlichte Mayer (analog wie Joule) seine Hypothese von der Äquivalenz physikalischer Arbeit und Wärme und übertrug später die Idee von der Erhaltung der Energie auf elektrische und chemische Kräfte. 1847 gab Helmholtz die mathematischen Formeln für die verschiedenen Energieformen an. {45}
In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte Rudolf Clausius einen ,Verwandlungswert‘ der Wärme eingeführt, dessen spontane Zunahme in isolierten Systemen irreversible Prozesse charakterisieren sollte. Solche Vorgänge sind aus dem Alltag und der Physik wohlbekannt. Ein Behälter mit einer warmen Flüssigkeit kühlt sich spontan auf die sie umgebende Zimmertemperatur ab. Der umgekehrte Vorgang einer spontanen Mehrerwärmung gegenüber der Zimmertemperatur wurde nie beobachtet. Wärme fließt offenbar so lange, bis sie überall gleich verteilt ist und in diesem Zustand des Gleichgewichts kein Temperaturgefälle im System mehr existiert. Für seinen Verwandlungswert prägte Clausius analog zum griechischen Wort ergon für Energie das Kunstwort Entropie aus dem griechischen Wort tropos (Wendung). Die Veränderung der Gesamtentropie eines physikalischen Systems und seiner Umgebung in einem sehr kleinen Zeitintervall entspricht der Summe aus der Entropieänderung der Umgebung und im System selbst. {46}
Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik fordert daher, daß die Entropieänderung im System größer oder gleich Null ist. Für isolierte Systeme, bei denen die Entropieänderung der Umgebung Null ist, kann die Entropie zunehmen oder konstant bleiben, wenn das thermische Gleichgewicht erreicht ist. Im Gleichgewichtsfall ist die Entropieänderung im System gleich Null. Ein Paradebeispiel für ein isoliertes System war für Clausius das Universum selber. 1865 wendete er die beiden Hauptsätze der Thermodynamik kosmologisch an. Nach dem Hauptsatz ist die Energie der Welt konstant. Nach dem Hauptsatz folgt für die Entropie der Welt, daß sie einem Maximum zustrebt.
Eine statistisch-mechanische Erklärung von Temperatur und Entropie geht vor allem auf Maxwell, Boltzmann und Gibbs zurück. Danach sollte das makroskopisch beobachtbare Geschehen durch mikroskopische Wechselwirkungen von sehr vielen Teilchen und sehr vielen Freiheitsgraden erklärt werden. Als Beispiel eines makroskopischen Vorgangs betrachte man einen ungleichmäßig mit Gas gefüllten Behälter, in dem sich sehr schnell ein Zustand konstanter Dichte einstellt. Eine makroskopisch ungleiche Verteilung geht mit großer Wahrscheinlichkeit in eine makroskopische Gleichverteilung über, während die Umkehrung extrem unwahrscheinlich ist.
Allgemein erklärt die statistische Mechanik einen Materiezustand wie z.B. ortsabhängige Dichte, Druck, Temperatur durch Mikrozustände. Ein beobachtbarer Makrozustand realisiert sich durch eine große Anzahl W von Mikrozuständen. Zur Definition der Zahl W wird eine große Anzahl von unabhängigen gleichartigen Mechanismen betrachtet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Atome, Moleküle, Flüssigkeitskörper oder Kristalle handelt. Sie durchlaufen ihre Mikrozustände aufgrund von Bewegungsgleichungen mit jeweils unterschiedlichen Anfangsphasen. Wenn ein Makrozustand durch W solcher Mikrozustände verwirklicht wird, so wird die Entropie des Makrozustands durch S=k·lnW mit der Boltzmannschen Konstante k bestimmt.
Damit ist die Entropie eines Systems nach Boltzmann ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, nach der sich Moleküle so gruppieren, daß das System den beobachtbaren Makrozustand einnimmt. Boltzmann deutete die irreversible Entropiezunahme in einem isolierten System nach dem 2. Hauptsatz als wachsende molekulare Unordnung. Im thermischen Gleichgewicht ist anschaulich ein Zustand überwältigender Gleichverteilung z.B. der Moleküle eines Gases in einem isolierten Behälter erreicht. {47}
Nach Boltzmann entstehen Gleichgewichtsstrukturen durch eine Art statistischen Ausgleichs atomarer oder molekularer Wechselwirkungen der Materie. So ist die Strukturbildung eines Kristalls als Annäherung an einen
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