Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Quantenmechanik geht noch weiter und macht nicht nur den Meßapparat, sondern das menschliche Bewußtsein beim Meßakt verantwortlich. So schlug Eugene Wigner (1961) vor, daß die Linearität der Schrödingergleichung für den menschlichen Beobachter nicht ausreicht und durch ein nicht-lineares Verfahren ersetzt werden müßte, das getrennte Zustände und Systeme der Materie liefert. Wigners Interpretation zwingt allerdings zu der Annahme, daß die linearen Superpositionen der Quantenwelt nur in solchen Gegenden des Universums in getrennte Teilzustände separierter Systeme aufgehoben werden, wo das menschliche oder ein menschenähnliches Bewußtsein „auf die Materie“ einwirkt. In der makroskopischen Welt der Billardkugeln und Planeten wurden jedoch keine EPR-Korrelationen bestätigt, sondern nur in der mikroskopischen Welt z.B. der Photonen bis zur mesoskopischen Welt der Moleküle.
Es erscheint wenigstens ziemlich merkwürdig, daß die getrennten Materiezustände der makroskopischen Welt, die in der klassischen Physik mit definiten Meßwerten erfaßt werden, durch das menschliche oder ein menschenähnliches Bewußtsein verursacht sein sollen. John Bell fragte dazu ironisch: „Was genau zeichnet ein physikalisches System aus, die Rolle des ,Messenden‘ zu spielen? Hat die Wellenfunktion der Welt Tausende von Jahren auf den Sprung gewartet, bis ein einzelliges Lebewesen erschien? Oder mußte sie noch länger warten, auf ein besser qualifiziertes System ... mit Doktortitel?“ {39} Offenbar hat Einstein mit seiner Unvollständigkeitskritik insofern recht, als die traditionelle (lineare) Quantenmechanik mit uneingeschränkter Gültigkeit des Superpositionsprinzips für eine umfassende Theorie der Materie mit klassischen und nicht-klassischen Eigenschaften im Mikro-, Meso- und Makrobereich nicht ausreicht. Die Hoffnung der Physiker richtet sich daher auf eine Vereinigung aller physikalischen Grundkräfte und materiellen Systeme in einer gemeinsamen Theorie der Materie.
3. Materie in der Elementarteilchenphysik
Eine Vereinigung von Elektrodynamik, Spezieller Relativitätstheorie und Quantenmechanik gelang in der Quantenelektrodynamik. {40} Bereits Diracs erster Ansatz zu einer relativistisch-quantenmechanischen Wellengleichung des Elektrons (1927/28) erwies sich als fruchtbar, da sie zu der damals überraschenden Prognose eines Antiteilchens (Positron) führte, das 1932 auch tatsächlich entdeckt wurde (Abb. 2). Die zunächst ungewöhnliche Annahme der Erzeugung und Vernichtung von Teilchen-Antiteilchenpaaren in der Quantenelektrodynamik wird in den Experimenten moderner Elementarteilchenbeschleuniger mit beispielloser Genauigkeit bestätigt.
Andererseits traten seit den ersten Entwürfen zur Elektrodynamik typische Singularitäten auf, von denen man nicht wußte, ob sie grundlegende Grenzen dieses Theorieansatzes bedeuten. Gemeint sind experimentiell bestimmbare Größen der Materie wie z.B. Massen von Elementarteilchen und Kopplungskonstanten ihrer Wechselwirkungen, für die sich bei Berechnungen in Quantenfeldtheorien unendliche Werte ergeben. Zwar konnten diese Divergenzen durch Rechentechniken der Renormierungstheorien ad hoc vermieden werden, ohne aber eine abschließende physikalische Erklärung zu liefern.
Das Grundthema der Quantenelektrodynamik ist die Wechselwirkung von Materieteilchen (z.B. Elektronen) bzw.
Abb. 2: Blasenkammeraufnahme einer e e + -Paarerzeugung
Materiewellenfeldern mit elektromagnetischen Feldern. {41} Elektromagnetische Wechselwirkungen sind uns bereits aus dem Alltag wohlbekannt. Die Ausstrahlung von elektromagnetischen Wellen durch ein beschleunigtes Atom kennt man z.B. von Radioantennen oder Röntgenröhren. Demgegenüber wurden die schwachen Wechselwirkungen in den Atomen viel seltener beobachtet, z.B. beim β-Zerfall des Neutrons, das sich unter gleichzeitiger Emission eines Elektron-Antineutrino-Paares in ein Proton umwandelt. Zunächst scheint es, daß schwache und elektromagnetische Wechselwirkungen wenig Gemeinsamkeiten haben. Die schwache Kraft ist ca. tausendmal schwächer als die elektromagnetische. Während die elektromagnetische Wechselwirkung langreichweitig ist, wirkt die schwache Kraft nur in Abständen, die wesentlich kleiner sind als z.B. der Radius des Neutrons. Die radioaktiven Zerfälle sind viel langsamer als die elektromagnetischen. Bei den elektromagnetischen Wechselwirkungen (z.B. Streuung von einem Elektron an einem Proton) werden
Weitere Kostenlose Bücher