Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Wasserfläche freigab - und Billy einen unterdrückten Fluch ausstieß.
»Wachboot!«, zischte er, während er mit einer Drehung der Ruderpinne den Bug ihres Bootes auf die nächste Nebelwand richtete. »Rudert!… Rudert, was ihr könnt!«
Mit rauschender Bugwelle kam das Wachboot aus den grauen Schleiern. Eine Gestalt tauchte neben dem Ruderhaus auf. »Halt!«, brüllte eine Stimme über das Wasser. »Beidrehen! Sofort beidrehen!«
»Fahr zum Teufel!«, brüllte Billy the Butcher zurück, der schon einen seiner Revolver in der Hand hielt, und feuerte auf den Mann am Ruderhaus. Die Kugel traf ein Metallstück und jaulte als Querschläger in die Nacht.
Becky sah, wie der Mann in Deckung sprang, während das Wasser um ihr Boot von den hektischen Ruderschlägen aufgepeitscht wurde und sie auf die Nebelwand zujagten, in der ihre Rettung lag - sofern sie tief genug reichte, um sie zu verschlucken und unauffindbar zu machen.
Billy feuerte weitere Schüsse auf das Wachboot ab. Augenblicklich wurde von dort das Feuer erwidert. Das Krachen von Flinten und Pistolen vermischte sich mit wütenden Befehlen, aufzugeben und auf der Stelle beizudrehen. Worauf Billy seinen zweiten Revolver zog und mehrmals auf ihre Verfolger schoss, die hinter dem Schanzkleid des Wachbootes kauerten.
Eine Kugel sirrte über Beckys Kopf hinweg, eine andere bohrte sich an Backbord in die Bordwand, während die anderen am Heck ins Wasser schlugen.
»Verdammt!«, fluchte Billy, zuckte zusammen und ließ für einen kurzen Moment die Ruderpinne los, um sich an seine linke Schulter zu fassen.
»Hat’s dich erwischt?«, rief Dixie von vorn.
»Nur ein verdammter Streifschuss!«, antwortete Billy grimmig. Und dann tauchten sie auch schon in die Nebelwand ein. Die Wachleute jagten ihnen noch mehrere Schüsse hinterher, doch Billy änderte im Schutz des Nebels sofort ihren Kurs scharf nach Steuerbord, sodass die Geschosse ihr Ziel weit verfehlten.
Becky dachte mit Schrecken an das Riff, das sich vor der Südspitze von Blackwell’s Island erstreckte. Steuerten sie nicht geradewegs darauf zu?
Der Nebel hielt, das Wachboot verlor ihre Spur, und sie entkamen auch der Gefahr der Felsen, die zwischen West und East Channel bis dicht unter die Wasseroberfläche aufragten. Doch erst als sie die Flussbiegung auf der Höhe der Navy Docks passiert hatten und auf die Hafenanlagen von Lower Manhattan zusteuerten, wagte Becky, aufzuatmen und daran zu glauben, dass sie nun allen Gefahren entronnen waren.
»Macht bloß, dass ihr von Bord kommt!«, forderte Billy sie grimmig auf, als sie endlich am Landungssteg oberhalb der Water Street längsseits gingen. »Mich muss der Teufel geritten haben, dass ich mich auf diesen Handel eingelassen habe!«
Becky war ganz froh über den harschen Ton und Groll, mit dem er sie aus seinem Boot jagte, entband er sie doch davon, sich einige Worte des Dankes abzuquälen. Hastig kletterte sie mit ihrem Bruder und ihren Freunden von Bord. Sie machten, dass sie vom Steg kamen und das verruchte Viertel um die Water Street so schnell wie möglich hinter sich ließen. Erst jetzt wurde Becky bewusst, wie sehr ihr die Nachtkälte in die Knochen gezogen war und dass sie in ihren wasserdurchtränkten Schuhen und Kleidern heftig fror. Aber was machte das schon? Daniel befand sich in Freiheit - und das allein zählte!
31
D AS mitternächtliche Abenteuer mit den Flusspiraten verfolgte Becky noch wochenlang, zusammen mit den bestürzenden Geschichten über das Gefängnisleben, mit denen Daniel nach und nach herausrückte.
Aber schon am Tag nach der Befreiungsaktion steckten sie wieder alle im gewohnten Überlebenskampf. Captain Walsh ließ sich gnädig herab, Daniel wieder in seiner Truppe aufzunehmen. Und Becky lief wie immer morgens mit der Sun und nachmittags mit der Post straßauf, straßab, fand sich zu den gewohnten Zeiten bei Maggie’s ein, verbrachte einige Zeit mit Coffin, Timothy und ihren anderen Freunden und rettete sich in der Nacht mit ihrem Bruder in den warmen Aufenthaltsraum der Fulton-Fähre.
Aber während mit Einbruch des Winters die Bilder von Daniels Befreiung allmählich verblassten und sich bald wie Erinnerungen an einen schlechten Traum ausnahmen, verlor der Überfall auf Arthur Dougherty für Becky nichts von seiner peinigenden Macht über ihre Gedanken. Scham und Schande setzten ihr weiterhin so zu wie an dem Tag, als sie den Vermieter dort vor Angst zitternd auf dem Boden der Küche liegen gesehen hatte. Dass sie
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