Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
nehmen die kleine Bucht hinter der Felsnase von Painter’s Point. Halt dich bereit, Richie!«
»In Ordnung, Boss!«, antwortete der Hüne im Flüsterton.
Noch acht, neun Ruderschläge, dann zogen sie auf Billys Befehl hin die Riemen ein. Im selben Moment glitt ein niedriger Felsen, der wie ein abgerundeter Keil vom Ufer ins Wasser ragte, fast zum Greifen nahe an Backbord vorbei. Dann folgte ein scharfer Schwenk mit der Ruderpinne, und das Boot hielt auf die kleine, kaum zehn Schritte breite Einbuchtung zu, die sich hinter der Felsnase öffnete. Als Sand am Rumpf entlangschabte, schwang sich Richie mit der Bugleine in der Hand über das Dollbord, watete durch das knietiefe Wasser und zog das Boot an Land.
Sie waren auf Blackwell’s Island gelandet!
Becky musste sich zusammennehmen, um nicht einen Stoßseufzer der Erleichterung auszustoßen, dass sie ihren schmerzenden Muskeln nun für eine Weile eine Ruhepause gönnen konnte.
Billy stiefelte über die Ruderbänke hinweg und sprang mit einem Satz ans Ufer. »Dixie, du kommst mit mir! Alle anderen bleiben hier!«
»Ich will mitkommen! Mein Bruder kennt euch nicht!«, entfuhr es Becky spontan und sie folgte ihm aus dem Boot. Sie wollte zugegen sein, wenn ihr Bruder über die Mauer des Gefängnishofes stieg. Wer wusste denn, wie er reagierte, wenn er zwei Männer wie Billy the Butcher und Double-Knife-Dixie vor sich sah?
Zu ihrer Verwunderung hatte der Flusspirat nichts dagegen. »Wie du willst. Aber dann mach dich wenigstens nützlich und trag das Seil hier!« Er hob ein zusammengelegtes Tau aus dem Bugraum und warf es ihr zu, als wäre es so leicht wie eine Hand voll Federn.
Das Seil, das mit vielen dicken Knoten durchzogen war, traf Becky wie ein Hammerschlag vor die Brust und ließ sie rückwärts durch das Wasser taumeln. Geistesgegenwärtig schlang sie ihre Arme um das Bündel. Doch allein die Bordwand, die sich ihr im nächsten Moment rettend in den Rücken rammte und ihr Taumeln auffing, verhinderte, dass sie das Gleichgewicht verlor und ein eisiges Bad nahm.
Billy machte eine ungeduldige Handbewegung in ihre Richtung. »Was ist? Willst du da vielleicht Wurzeln schlagen? Beweg dich!«
Becky watete hastig aus dem Wasser und warf sich das Seil über die Schulter. Uferschlamm quatschte in ihren durchnässten Schuhen. Zudem hatten sich Kleid und Mantel bis übers Knie hinauf mit Wasser voll gesogen und zogen an ihr, als wären unten in den Säumen Bleibänder eingenäht.
»Du bleibst dicht hinter mir!«, forderte Billy sie harsch auf. »Dixie sichert nach hinten. Und was immer ich tue, machst du mir nach - und zwar augenblicklich! Wenn ich stehen bleibe, läufst du mir nicht in die Hacken, sondern bleibst auch sofort stehen. Wenn ich mich hinter einem Strauch in Deckung lege, machst du dasselbe, und zwar ohne auch nur einen Furz von dir zu geben, hast du verstanden?«
»Ja, klar und deutlich«, antwortete Becky.
Billy zog sein langes Bootsmesser blank. »Dann Abmarsch!« Als Becky kurz den Kopf wandte, sah sie, dass jetzt auch Double-Knife-Dixie eine von seinen machetenartigen Klingen in der Hand hielt.
Ein flaues Gefühl überkam sie, und sie wollte fragen, ob auch die Wachposten auf dieser Seite der Insel bestochen waren und damit keine Gefahr für sie darstellten oder ob nur zwei Wärter hinter den Gefängnismauern Bestechungsgeld erhalten hatten. Und diese bange Frage, die ihr durch den Kopf schoss, löste eine ganze Lawine von weiteren beklemmenden Überlegungen aus.
War es möglich, dass sie nach allem, was sie auf sich genommen hatten, so kurz vor dem Ziel noch scheiterten, weil sie einer Patrouille in die Arme liefen? Wie würde solch ein Kampf wohl ausgehen? Konnte sie es überhaupt auf ihr Gewissen nehmen, dass vielleicht Blut vergossen wurde, um Daniel zu befreien? Aber auch wenn es keinen Kampf gab - würden die Wärter im Gefängnis wohl Wort halten? Was war, wenn irgendjemand etwas bemerkt hatte und der Plan längst aufgeflogen war? Mussten sie nicht damit rechnen, in eine Falle zu laufen?
Um sich von ihren sorgenvollen Gedanken abzulenken, begann Becky, die Schritte zu zählen und sich vor ihrem geistigen Auge ein Bild von dem Weg zu machen, den Billy sie führte. Coffin hatte ihr am Nachmittag mit einem Stock einen Grundriss der Insel in den Sand gemalt. Sie wusste daher, dass der Hof, in dessen südlicher Ecke Daniel auf sie warten würde, sofern bis dahin alles nach Plan verlaufen war, auf der Westseite lag. Aber sie waren am
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