Befehl von oben
die von ihren eigenen Opfern verbreitet wurde, einem um den anderen, bis die Epidemie nach entsprechender Zeit von selber wieder abebbte und erlosch. Sie würde erlöschen. Alle Epidemien taten das. Sie mußte erlöschen, nicht wahr?
Die Antwort auf diese Frage wußte er nicht. In Zaire und den paar anderen afrikanischen Ländern, die von dieser abscheulichen Krankheit heimgesucht wurden, waren die Ausbrüche, so beängstigend sie auch waren, alle wieder erloschen – trotz idealer Umweltbedingungen, die die Viren beschützten und unterstützten. Doch dem gegenüber stand die Primitivität Zaires, die fürchterlichen Straßen und der kaum vorhandene Verkehr. Die Krankheit tötete die Menschen, bevor sie weit herumkamen. Ebola löschte Dörfer aus, aber dann war Schluß. Keiner wußte, was in einem entwickelten Land passieren würde. Theoretisch könnte man ein Flugzeug infizieren, sagen wir mal, einen internationalen Flug zum Kennedy Airport. Die Reisenden würden die Maschine verlassen und in viele Richtungen strömen. Vielleicht würden sie die Krankheit durch Husten und Niesen sofort verbreiten, vielleicht auch nicht. Aber das war auch egal. Viele von ihnen würden nach ein paar Tagen sicher wiederum fliegen und sich fragen, ob sie die Grippe hätten, und dann würden sie das Virus übertragen und andere anstecken.
Wie sich eine Epidemie ausbreitete, war nur eine Frage von Zeit und Gelegenheit, sonst nichts. Je schneller sich eine Krankheit von ihrem Herd aus ausbreitete und je schneller die Verkehrsmittel waren, desto weiter und tiefer konnte sie in eine Population eindringen. Diesbezüglich gab es mathematische Modelle, aber sie waren alle rein theoretischer Natur, waren alle abhängig von einer Vielzahl individueller Variablen, von denen jede einzelne die ganze Gleichung so oder so beeinflussen konnte. Zu sagen, die Epidemie würde nach gewisser Zeit erlöschen, war korrekt. Die Frage war nur, wie schnell? Davon hing die Anzahl der Leute ab, die infiziert wurden, bevor Schutzmaßnahmen greifen konnten. Wurde ein Prozent einer Gesellschaft befallen oder zehn Prozent oder gar fünfzig Prozent? Amerika war keine provinzielle Gesellschaft.
Jeder interagierte mit anderen. Ein tatsächlich durch Luft übertragbares Virus mit einer Inkubationszeit von drei Tagen … dafür gab es kein Modell, das Moudi kannte. Der Trick, wenn man eine größere Epidemie herbeiführen wollte, war der, daß man die Zahl der Index-Fälle vergrößern mußte. Wenn einem das gelang, dann konnte die Initialblüte von Ebola-Mayinga-Almerika so gewaltig sein, daß konventionelle Kontrollmaßnahmen wirkungslos wurden. Dann würde sich die Krankheit von Hunderten von Einzelpersonen und Familien ausbreiten – oder Tausenden? Dann könnte der nächste Generationssprung Hunderttausende betreffen. Etwa zu dieser Zeit würden die Amerikaner feststellen, daß etwas Schreckliches im Gange war, aber es wäre immer noch Zeit für einen weiteren Generationssprung, und der wäre dann noch mal von einer höheren Größenordnung, ginge vermutlich in die Millionen. Und von da an wären die medizinischen Einrichtungen überfordert …
… und es gäbe vielleicht überhaupt kein Aufhalten mehr. Keiner kannte die möglichen Konsequenzen einer absichtlich herbeigeführten Masseninfektion in einer hochmobilen Gesellschaft. Die Auswirkungen mochten in der Tat global sein. Aber vermutlich nicht. Höchstwahrscheinlich nicht, sagte sich Moudi, während er auf die gläsernen Kulturschalen hinter dicken Drahtglaswänden durch die Plastikscheibe seiner Maske schaute. Die erste Generation dieser Krankheit war von einem unbekannten Wirt gekommen und hatte einen kleinen Jungen getötet.
Die zweite Generation hatte auch nur ein einzelnes Opfer gefordert, was dem Schicksal und glücklichen Umständen und seiner Kompetenz als Arzt zu verdanken war. Die dritte Generation wuchs vor seinen Augen heran. Wie weit sie sich ausbreiten würde, war unbestimmt, aber es waren die Generationen vier, fünf, sechs und vielleicht auch sieben, die das Schicksal eines ganzen Landes bestimmen würden – das zufällig der Feind seines eigenen war.
Jetzt war es einfacher. Jean Baptiste hatte ein Gesicht und eine Stimme und ein Leben gehabt, das mit seinem eigenen in Berührung gekommen war. Diesen Fehler konnte er jetzt nicht wieder machen. Sie war eine Ungläubige gewesen, aber eine rechtschaffene. Er hatte für ihre Seele gebetet, und sicher hatte Allah seine Gebete erhört. In
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