Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die
diejenigen, auf die sich das Verlangen eines der Gatten richtet. Macht ist aber eine Seuche, die sich aller Umgebung mitteilt und sie in irgendeiner Weise in Abhängigkeit bringt, folglich Ungleichheit schafft, die wiederum Obrigkeit und Ausbeutung nach sich zieht. Die Moral der Anarchisten muß daher ausgehen von der bedingungslosen Billigung alles dessen, was auf geschlechtlichem Gebiete in unbeeinflußter Uebereinstimmung selbstverantwortlicher erwachsener Menschen geschieht. Unsittlich ist nie, was zwei Menschen tun, um einander Freude zu bereiten, unsittlich ist stets die Einmengung eines Dritten in ihre Verständigung.
Kein Mensch, weder Mann noch Frau, ist von der Natur so eingerichtet, daß er sich sein Leben lang sinnlich nur zu einem passenden Individuum hingezogen fühlen sollte. Der Geschlechtstrieb läßt sich nicht befehligen, ohne verdorben zu werden, und er läßt sich nicht verbieten oder einengen, ohne zu verkümmern. Die Eifersucht sichert die Ausschließlichkeit der Hinneigung eines Menschen zum andern nur bei völlig machtbefangenen Menschen, bei selbständig empfindenden, der Autorität unzugänglichen Naturen zerstört sie die Unbefangenheit des Verhaltens und verursacht dadurch fast immer das Gegenteil dessen, wofür sie eifert. Alle Liebesverständnisse beruhen auf Gegenseitigkeit. Aber die Gegenseitigkeit wird nicht von dem Teil aufgehoben, welcher verschiedene Verständnisse unterhält, sondern von dem, welcher vom andern die Innehaltung einer Zwangsbindung ausschließlich an seine Person verlangt. Aus dem Zusammenfinden sinnlich bewegter Menschen, sei es zur Führung gemeinschaftlicher Häuslichkeit, sei es im Ueberschwang eines Augenblicks zur Erfüllung eines vorübergehenden Begehrens, lassen sich allgemeine Regeln und moralische Gesetze überhaupt nicht ableiten. Die Angelegenheiten der Geschlechtlichkeit haben mit sozial begriffener Sittlichkeit nicht das geringste zu tun, sofern nicht Gewalt, Mißbrauch wirtschaftlicher Abhängigkeit oder Verführung unentwickelter Kinder und der Willensfreiheit Beraubter den Verkehr zurMachthandlung erniedrigt, das Verhältnis gleichberechtigter Gegenseitigkeit zerstört und damit den privaten Vorgang gemeinschädlich auf die Gesellschaft zurückwirken läßt.
Die religiösen Gebote und in ihren Spuren die Staatsgesetze haben das geschlechtliche Verhalten, das sich, sozial gesehen, für ihre Machtzwecke kaum verwenden ließe, der öffentlichen Moral insgesamt zugrunde gelegt; sie haben die Menschen gewöhnt, unter Sittlichkeit die Einordnung der sinnlichen Bedürfnisse in die vorgeschriebenen Beschränkungen zu verstehen. Nur so war es möglich, die autoritäre Ehe, die lebenslängliche Zwangsbindung zur Familie zur unbestrittenen Selbstverständlichkeit der privaten Lebensorganisation zu machen. Die Vatermacht im Hause gab der Priestermacht der Kirche, der Regierungsmacht im Staate, der Kapitalsmacht in der Oekonomie die moralische Weihe; sie konnte daher nicht strenge genug gewahrt werden. Dabei ist zwischen dem orientalischen Recht der Männer, beliebig viel Frauen zu heiraten und dem christlichen und europäischen Grundsatz der Einehe, kein Unterschied des Wesens sondern nur der Abstufung. Die Vielehe ist nur dem Mann erlaubt, sie ist also der krasseste Ausdruck der unbeschränkten Vaterautorität in der Familie und schützt den Mann auch im Geschlechtsleben vor jedem Dreinreden innerhalb seines Herrschaftsbezirks. In der Einehe ist zwar die Frau ebenfalls ganz der Befehlshoheit des Mannes unterstellt – die bürgerlichen Gesetzbücher, ebenso wie das Kirchenrecht weisen der Ehefrau noch in unsern Tagen die Rolle der gehorsam dienenden Untergebenen und zur widerspruchslosen Hingabe verpflichteten Bettgenossin des Gatten an –, aber durch das Verbot, sich mehr als eine Ehesklavin zu halten, steht in bezug auf sein Sinnenleben auch der Mann unter Aufsicht, ist seine Gottähnlichkeit in der Familie in einem Punkt eingeengt, und die Frau, was noch wichtiger ist, wird in sehr schmalem Raum ebenfalls als Machthaberin zugelassen, tränkt sich mit dem Stolz, irgendwo auch Autorität betonen zu dürfen und wird um so zuverlässiger die Kinder im autoritären Geiste erziehen und sich der Autorität des Mannes, der Kirche und des Staates unterwerfen.
Der Verzicht auf die amtliche Beglaubigung einer Ehe ändert natürlich am Charakter der Familie nur dann etwas, wenn die überkommene Moral des gegenseitigen Machtverhältnisses darin keine Auferstehung
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