Befreiung vom Schleier - wie ich mich von meinem türkischen Freund und aus der islamischen Parallelwelt lösen konnte
ihre Augen schaute, immer auch ein bisschen das Gefühl hatte, in Mahmuds Augen zu blicken. Die beiden waren ja nicht nur Schwager und Schwägerin gewesen, sondern auch Cousin und Cousine und ihre Ähnlichkeit war einfach nicht von der Hand zu weisen.
Wir machten es uns dann bei Kaffee und Torte gemütlich. Es gab so wahnsinnig viel zu erzählen, und ich war neugierig, wie Aysegül die Flucht gelungen war. Wie sich herausstellte, hatte sie nach ihrer Trennung von Ogün fast ein Jahr in einem Frauenhaus gelebt, das gerade mal zwanzig Kilometer von mir entfernt lag. Sie berichtete mir, dass Ogün im Laufe der Jahre ihr gegenüber immer brutaler geworden war. Er kümmerte sich weder darum, Geld für seine Familie zu verdienen, noch um andere Dinge. Aysegül erzählte, dass sie einige Male bei ihrer Familie betteln gehen musste, um Geld für Essen oder unbezahlte Rechnungen zu organisieren.
Selbst arbeiten zu gehen, um etwas Geld zu verdienen, war ihr nicht erlaubt. Einen einzigen Sieg konnte sie allerdings dennoch erringen. Aysegül hatte heimlich ihren Führerschein gemacht und ausgerechnet Mahmud hatte sie dabei unterstützt. Er hatte sich an den Kosten für den Führerschein beteiligt, und als Ogün davon erfuhr, dass seine Frau hinter seinem Rücken die Fahrlizenz erworben hatte, und er sie dafür fürchterlich verprügeln wollte, was es wieder Mahmud, der die Wogen glättete und seinen Bruder zur Räson brachte. Dies ließ für einen Moment Hoffnung in mir aufkommen, dass Mahmud mittlerweile einiges begriffen hätte und nicht mehr gewalttätig wäre. Aysegül machte diese Hoffnung aber sofort zunichte, denn sie erzählte mir, dass Mahmud seit einiger Zeit wieder eine Freundin habe und sie ähnlich brutal wie mich damals behandele. Er habe diese arme Frau schon so zusammengeschlagen, dass sie bis nach Polen geflüchtet war. Allerdings sperrte er sie weder ein noch musste sie ein Kopftuch tragen. In seine Familie war sie jedoch kaum integriert. Also hatte sich Mahmud in all den Jahren nicht verändert.
Aysegül berichtete mir dann, wie ihre eigene Flucht abgelaufen war. Ogün und sie hatten am Telefon einen fürchterlichen Streit und Ogün kündigte an, nach Hause zu kommen und Aysegül zu töten. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er diese Drohung ernst meinte. Schon öfter hatte er bei seinen Gewaltattacken riskiert, dass sie für Aysegül tödlich enden könnten.
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, überlegte Aysegül verzweifelt, was sie nun tun konnte, um sich und ihre Kinder zu retten. In ihrer Verzweiflung rief sie eine Freundin an und bat diese, sie und die Kinder in ein Frauenhaus zu bringen. Bis zum Eintreffen der Freundin packte sie schnell die wichtigsten Sachen für sich und die Mädchen zusammen. Bevor sie dann für immer die Wohnung verließ, stellte sie schnell noch eine Vase mit Plastikblumen, einen Suppenteller und einen Löffel auf den Tisch. Dann nahm sie das ihr so verhasste Kopftuch ab, drapierte es in dem Suppenteller und legte einen Zettel darauf, auf dem nur zwei Worte standen: »Afiyet olsun«! (Guten Appetit).
Kurz darauf ließ sie sich von ihrer Freundin in eine ungewisse Zukunft bringen.
Natürlich dauerte es nicht lange und ihr Verschwinden wurde bemerkt. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie den reinsten Telefonterror auf ihrem Mobiltelefon. Es schien mir unbegreiflich, dass sie es überhaupt mitgenommen hatte, aber Aysegül erklärte mir, dass sie für ihre Schwestern und Freundinnen weiterhin erreichbar bleiben wollte. Dies bedeutete aber auch, dass sie für alle anderen ebenfalls erreichbar war.
Es kam, wie es kommen musste: Reihum meldeten sich die männlichen Mitglieder der Familie und versuchten, Aysegül zu einer Umkehr zu bewegen. Sie versprachen ihr, mit Ogün zu reden, damit er sie nicht mehr schlug und zukünftig dafür sorgte, dass Geld im Haus war, um die Lebenshaltungskosten zu bestreiten.
Nachdem Aysegül ihnen klargemacht hatte, dass es für sie kein Zurück mehr gab, verlagerten sie sich darauf, ihr zu drohen. Nachdem auch das ohne Wirkung blieb, kündigte man ihr an, ihren Eltern oder Geschwistern etwas anzutun. Mahmud war bei all den Drohungen ganz vorn dabei. Er griff mit am häufigsten zum Hörer in dem Versuch, Aysegül mit Drohungen gefügig zu machen.
Als die Familie einsehen musste, dass Aysegül es ernst meinte und durch nichts zu einer Rückkehr zu bewegen war, schmiedeten sie einen perfiden Plan.
Davon hatte Aysegül allerdings keine Ahnung.
Weitere Kostenlose Bücher