Befreiung vom Schleier - wie ich mich von meinem türkischen Freund und aus der islamischen Parallelwelt lösen konnte
Gespräch mit dem Redaktionsleiter brachte keine Wendung. Seine Bedenken konnte ich absolut verstehen, aber hier ging es nicht um plötzlich auftretende Sicherheitslücken, sondern einzig um die Befindlichkeiten einer Person, deren Erwartungshaltung ich im privaten Bereich nicht entsprochen hatte.
Deprimiert musste ich einsehen, dass dies meine letzte Sendung gewesen sein sollte.
16. Kapitel
Persönliche Katastrophen
D ass ich mich von dieser herben Enttäuschung relativ schnell erholte, lag ganz bestimmt auch an dem Beistand meiner Familie.
Ich bin ihnen so unendlich dankbar, dass sie meinen Weg, ohne jemals zu klagen, begleiten und mich auffangen, wenn mir mal alles zu viel wird. Nie habe ich Vorwürfe zu hören bekommen, wenn das Essen mal wieder später auf den Tisch kam, weil ich ein langes Telefongespräch mit einer verzweifelten Frau geführt hatte oder weil unsere Nachtruhe durch das Klingeln meines Handys gestört wurde. Das kommt vor, denn es gibt Frauen, die nur in der Nacht, wenn ihr gewalttätiger Partner schläft, von ihm unbemerkt telefonieren können.
Ja, ich bin stolz auf meine Familie, und sie ist der beste Beweis dafür, dass es ein Leben nach einer Gewaltbeziehung gibt und es sich lohnt, dafür zu kämpfen!
Trotzdem musste ich auch erst lernen, mich abzugrenzen und mich ausschließlich mal auf mich und meine Familie zu konzentrieren, auch wenn mir dies immer wieder schwerfällt.
Wie wichtig dies ist, habe ich begriffen, als mein Bruder plötzlich und unerwartet mit gerade einmal fünfundvierzig Jahren starb.
Er war es, der mir damals nach meiner Trennung von Mahmud immer zur Seite gestanden hatte. Wann immer ich ihn gebraucht hatte, war er für mich da gewesen. Auch als ich mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen bin und obwohl er damit gar nicht einverstanden war, hat er dennoch immer zu mir gehalten. Er war eine Kämpfernatur so wie ich, und er konnte mich – meistens – verstehen. Zwei Wochen vor seinem plötzlichen Tod hatte er mir noch ins Gewissen geredet, ich solle endlich mehr an mich selbst denken und nicht immer nur an all die Hilfesuchenden, die sich täglich an mich wandten.
Das war gut gemeint, wirkte auf mich aber fast belustigend, da Ralf ein echter Workaholic war, für den es selbstverständlich war, zwölf bis vierzehn Stunden am Tag zu arbeiten.
Eine Woche vor seinem Tod habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Ich war erschrocken, weil er so grau im Gesicht war, seine Augen jedoch blitzten vor Energie wie eh und je. Ich wollte ihn gerade bitten, unbedingt zum Arzt zu gehen, aber wie so oft klingelte mein Handy und unser Gespräch wurde davon unterbrochen. Später redeten wir über andere Themen. Meine Gelegenheit, ihn darauf hinzuweisen, auf seine Gesundheit zu achten, hatte ich verpasst.
Am Freitag, den 13. Juli 2012 rief mich meine Mutter an, um mich über Ralfs plötzlichen Tod zu benachrichtigen. Aysegül und ihre Tochter Özlem waren gerade bei mir zu Besuch. Wir hatten gemeinsam zu Abend gegessen und standen auf der Terrasse, um noch eine Zigarette zu rauchen. Ich brach nach dem Telefonat mit meiner Mutter völlig zusammen, ich hatte meinen einzigen Bruder verloren. Rüdiger und Aysegül versuchten mich, so gut sie konnten, zu trösten.
Aysegül wich an diesem Abend nicht von meiner Seite, sie begleitete mich gemeinsam mit Rüdiger und Özlem zu meiner Mutter. Ich war sehr froh, dass ich sie als starke Freundin zurückgewonnen hatte.
Für uns alle folgte eine schwere Zeit und bis heute habe ich den tragischen Verlust noch nicht verwunden. Aufgrund meiner Gefährdungslage und um auszuschließen, dass Ralf vielleicht von jemandem Schaden zugefügt worden war, ordnete die Staatsanwaltschaft eine Obduktion an. Die Obduktion brachte zutage, dass Ralf bereits einige Monate vor seinem Tod einen Herzinfarkt erlitten hatte, der aber nicht bemerkt worden war. Jetzt hatte ich auch eine Erklärung für seine graue Gesichtsfarbe, die mir bei unserem letzten Zusammentreffen aufgefallen war. An dem Tag, als er starb, hatte er einen zweiten Infarkt erlitten, der dann tödlich war.
Der viel zu frühe Tod meines Bruders war für mich auch ein Anlass, mein eigenes Leben zu überdenken. Mein Kampf gegen häusliche Gewalt war längst zu meiner Lebensaufgabe geworden, darin ging ich voll und ganz auf. Mir wurde klar, dass ich meine Bestimmung gefunden hatte, und ich wollte gar nichts anderes mehr machen, als zu diesem Thema zu informieren, wachzurütteln und den
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