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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kulturattaches ist schwer, wenn er sich nicht nur mit der Kultur beschäftigen muß.
    *
    An diesem 20. Mai geschah noch manches. In Göttingen und in Tiflis.
    Agnes Wolter erhielt nach einer schlaflosen Nacht, in der sie unruhig hin und her wanderte und die Spät- und dann die Frühnachrichten aller Sender abhörte, Besuch von einem Herrn, der sich Erich Hornberg nannte. Er war der Göttinger Vertreter der Fluggesellschaft DBOA, und er war sehr verlegen, als er von Frau Wolter zu einer Tasse Kaffee eingeladen wurde. Er sah ihre rotumränderten, verweinten Augen, ihre zitternden Hände, das Zucken in den Mundwinkeln, und er wußte auch, daß sie die Nacht nicht geschlafen hatte, denn wer kann Schlaf finden, wenn sein Kind irgendwo einen grauenhaften Tod gefunden haben soll.
    »Sie bringen mir die Nachricht, nicht wahr …?« sagte Agnes Wolter tapfer, als sie den Kaffee eingegossen hatte. Erich Hornberg drehte den Löffel stumm in der Tasse, obwohl er gar keinen Zucker genommen hatte, der sich auflösen mußte. »Bitte, sagen Sie es! Ich habe die ganze Nacht Zeit genug gehabt, mich auf diese Nachricht vorzubereiten. Ich habe gegen Gott gemurrt, und ich habe gebetet, und danach wurde mir leichter. Es ist doch nicht zu ändern, nicht wahr? Man begreift es nicht, man will es einfach nicht begreifen, aber es ist ja wahr. Damals, als mein Mann nicht wiederkam, habe ich jahrelang gehofft. Vermißt ist nicht tot, sagte ich mir immer. Vermißte können zurückkommen. Und dann wußte ich, nach zehn Jahren, daß Karl nie wiederkommen würde. Ein Kamerad aus der Gefangenschaft besuchte mich. Karl war an Typhus gestorben. Im Lager Porsu-Burun. Auf der Karte habe ich es dann gesucht … ein kleiner Ort am Kaspischen Meer. Es ist ein Name geworden, den ich nie vergessen werde … wie Tiflis.« Agnes Wolter faltete die Hände vor der weißen Schürze, die sie auch im Laden immer trug. So sauber sah sie darin aus, so mütterlich und ehrlich. »Sie … sie ist tot, nicht wahr?«
    Erich Hornberg zog den heißen Löffel aus der Kaffeetasse. Sein rundes, gebräuntes Gesicht – er hatte in Göttingen ein kleines Haus und lag nach Dienstschluß immer im Garten – wirkte etwas fahl.
    »Die Maschine, die Ihre Tochter flog, die XA-19, war es, ja …« Hornberg atmete ein paarmal auf. Er verfluchte innerlich den Auftrag der Direktion in Hamburg. Davor drücken sie sich, dachte er erbittert. Das überlassen sie den kleinen Angestellten. Im Namen der Direktion … das ist so einfach für die in Hamburg. »Es hat neunzehn Tote gegeben. Aber Ihre Tochter ist nicht darunter.«
    In Agnes Wolter zerriß der dünne Panzer, den sie sich in der Nacht um ihr Herz gelegt hatte. Sie schrie auf und klammerte sich an der Kante des Wohnzimmerschrankes fest. Erich Hornberg sah schnell zur Seite, er spürte ein Brennen in seinen Augen.
    »Sie … sie … Bettina lebt?« stammelte sie.
    »Die Toten sind sämtlich identifiziert worden. Auch die Verletzten. Sie sind, mit Ausnahme von Chefpilot Pohlmann, alle außer Lebensgefahr. Aber …« Hornberg stockte. Erst der Mann vermißt, dachte er. Jetzt muß man ihr sagen, daß auch die Tochter in Rußland … Oh, dieser Mist! Diese verfluchte Welt! Er sah aus dem Fenster hinaus in den Hinterhof mit den Mülltonnen.
    »Aber …?« wiederholte Agnes Wolter leise. »Was ist mit meiner Bettina geschehen … Ist … ist sie schwer verletzt … Mußte man etwas amputieren? Oder ist sie blind? Sagen Sie es ruhig, Herr Hornberg … es ist alles nicht so schlimm. Sie lebt ja … ich habe sie wieder … sie wird jetzt immer bei mir bleiben.«
    Erich Hornberg trank etwas Kaffee. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Man muß es sagen, dachte er bei den kleinen Schlucken. Man kann sie nicht länger belügen. Wie gemein das Schicksal sein kann, wie hundsgemein!
    »Bettina ist vermißt«, sagte er leise.
    Die Augen Agnes Wolters wurden weit, ungläubig, voll grenzenlosen Entsetzens.
    »Vermißt …«
    »Ja. Bei den Toten ist sie nicht und nicht bei den Verletzten, auch nicht in den Trümmern. Sie ist einfach weg. Wir alle, auch die russischen Behörden, stehen vor einem Rätsel.«
    »Fängt das jetzt wieder an …«, sagte Agnes Wolter leise. »Ist es wieder wie bei Karl … zehn Jahre lang warten … warten … warten … und glauben: sie lebt. Sie kommt wieder. Irgend etwas ist geschehen. Sie hat das Gedächtnis verloren, einen Nervenschock hat sie, lebt woanders, und eines Tages erinnert sie sich und kommt zurück … Und so wartet

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