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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte die zerrissene und angesengte Jacke ihrer Stewardeß-Uniform ausgezogen. In zerfetztem Rock und einer ölverschmierten Bluse saß sie da, und sie wußte, daß sie in dieser Kleidung nie die Grenze erreichen konnte. Jeder Mensch, der sie sah, würde sie festhalten.
    Die Stadt lag unter ihr. Vor ihr dehnte sich eine Ebene mit Wein und Obstbäumen, und dazwischen lagen Scheunen und Schuppen und vereinzelte Bauernhäuser aus Holzbrettern, bunt bemalt und mit geschnitzten Giebeln.
    Der Anblick der Stadt und der schwarzen Felsen machte sie unendlich müde. Sie lehnte den Kopf zurück an die morschen Latten des Zaunes und starrte in den Himmel, an dem Wolkenfetzen dahintrieben. Ich darf nicht schlafen, sagte sie sich. O Gott, ich darf nicht schlafen. Weiter muß ich, weiter! Ich muß in die Berge, und irgendwo wird eine Höhle sein, in die ich kriechen kann und abwarten, bis die nächste Nacht kommt.
    Aber als sie aufstand, taumelte sie und hielt sich am Baum fest. Jeder Schritt war eine Qual, die von den Fußsohlen bis unter die Schädeldecke zog und den Körper wie ein schleichendes Gift lähmte. Mit letzter Kraft erreichte sie einen Schuppen, fiel gegen die Tür, stolperte in die Dunkelheit hinein, spürte, wie sie gegen einen hohen Haufen Maisstroh fiel, und so blieb sie liegen, halb nach hinten gesunken, halb stehend, mit weit ausgebreiteten Armen.
    Aber es war nur der Körper, der ihr nicht mehr gehorchte. Ihre Gedanken arbeiteten weiter, und sie hörte die Geräusche außerhalb des Schuppens, das Bellen von zwei Hunden, ein Pferdescharren hinter der Nebenwand, ein Rascheln wie von Ratten und Mäusen unter dem Maisstroh, und das Knarren alter Holzbalken unter dem schwachen Druck des Windes, der von den Bergen hinunter nach Tiflis wehte.
    Was hat Wolfgang einmal zu mir gesagt? dachte sie, und sie wunderte sich, wie deutlich die Gedanken in einem solch erschöpften Körper sein konnten. »Wenn der Teufel es will, Betti, und ihr müßt einmal in Rußland notlanden, gib dich nie in die Hand sowjetischer Behörden. Versuch unter allen Umständen, durchzukommen in ein westliches Land. Du weißt, was ich in Bonn tue – Mutter weiß es nicht, sie kann sonst nicht mehr schlafen, du weißt ja, wie sie ist –, und wenn die Sowjets dich in die Hand bekommen, hätten sie ein wirksames Erpressungsmittel gegen mich. Sie kennen keine Rücksicht. In unserem Metier ist alles erlaubt.«
    Das war es, was Bettina eingefallen war, als sie außerhalb des brennenden, explodierten Flugzeugwracks zwischen den kleinen Maulbeerbäumen lag und wegkroch aus dem Flammenschein. Das Leben Wolfgangs konnte man zerstören, und sie war sich sicher, daß die Russen diese Möglichkeit ausgenutzt hätten, wenn sie sich bei ihnen gemeldet hätte. Sie schauderte bei dem Gedanken an die Gefängnisse und an die Frauenlager, über die so viel geschrieben worden war, und sie dachte an die Verhörmethoden und die Gnadenlosigkeit sowjetischer Justiz. Da war zu der Angst um Wolfgang die eigene große Angst gekommen, und sie war fortgerannt mit dem Ziel, sich durchzuschlagen in die Freiheit, zur türkischen Grenze jenseits der Kaukasusberge.
    Wie lange sie an dem Maisstrohhaufen gelehnt hatte, wußte sie nicht. Bei dem Gefühl der geringsten Kraft raffte sie sich auf und kroch auf allen vieren den Strohberg hinauf, wühlte sich in die harten, stechenden Halme und schlief ein, als sie ausgestreckt lag und über ihr die Dachbalken im Wind seufzten.
    Der Morgen war hell und sonnig. Durch das schadhafte Dach fiel das Sonnenlicht auf Bettina, und sie erwachte seufzend und mit starren Gliedern. Einen Tag und eine Nacht hatte sie in völliger Erschöpfung geschlafen.
    Von draußen hörte sie Stimmen. Jemand schrie nach seinem Beutel Wein, eine Frauenstimme beschimpfte den Schreier und nannte ihn einen Dummkopf, und Bettina wunderte sich, wie gut sie die russische Sprache verstand. Leise sprach sie die Sätze nach, die sie von draußen hörte, dann kroch sie auf dem Strohhaufen zur Wand und sah durch eine Ritze der Bretter hinaus. Auf vier Leiterwagen mit Traktoren davor fuhren Bauern in blauen Hosen und weißen Hemden auf die Felder, Mützen oder Strohhüte auf den Köpfen, und die Frauen in langen, weiten Röcken oder ebenfalls in blauen Drillichhosen saßen auf einem Lastwagen, der gerade anfuhr und den Staub in dicken Wolken aufwirbelte.
    Dann war es still zwischen Haus und der Scheune. Bettina rutschte den Strohhaufen hinunter und wartete an der angelehnten

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