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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Weinhängen. Borokin trug einen hellgrauen Anzug, einen diskret gemusterten Schlips, flache Sandalen, und sein Gesicht war alltäglich, von einer langweiligen Regelmäßigkeit. Sogar sein dunkelbraunes Haar war glatt und zurückgekämmt und damit fast übersehbar.
    Ein wenig lebhafter wurde er, als auf dem Parkplatz vor dem Café ein weißer, kleiner Sportwagen vorfuhr und eine junge Dame mit leuchtend blonden Haaren ausstieg. Sie hatte lange, schlanke Beine, trug ein Kleid mit einem Rock, der gerade die kleinen Knie bedeckte, und als sie jetzt mit trippelnden, wiegenden Schritten auf das Café zukam, ein Gesichtchen mit roten Lippen und nachgezogenen Augenkonturen, war sie eine Augenweide für einen Mann und ein Ärgernis für andere Frauen, vor allem für die verheirateten. Borokin beobachtete durch das Fenster, wie sie näher kam. In ihrem Gang drückte sich das Wissen aus, einen schönen, wohlgeformten Körper zu haben. Und wer ihre Augen sah, dunkelblau und samtweich, dachte an eine Schlafpuppe, die man in den Arm nimmt und nach hinten beugt, und die dabei die Wimpern schließt und leise ›O Mama‹ flüstert.
    »Da sind Sie ja«, sagte Borokin wenig höflich, als die schöne Dame an seinen Tisch trat und ihre weißen Handschuhe auf einen Stuhl warf. Ein wenig hatte er sich erhoben, aber nicht zu voller Höhe, und er saß schon wieder, als sich die Dame ebenfalls setzte und ihre langen blonden Haare ordnete. »Nachts sollten Sie lieber schlafen.«
    »Lassen Sie bitte Ihre schweinischen Reden, Borokin«, sagte die Dame. Eine sanftklingende Stimme hatte sie, obwohl die Worte nicht gerade Glockentöne waren. »Was wollen Sie?«
    »Zunächst sollte man Sie erinnern, daß Ihre Mutter noch immer in Küstrin in Untersuchungshaft sitzt. Die Anklage des Staatsanwaltes ist noch nicht erfolgt, wir halten sie noch zurück.«
    »Ich weiß.« Irene Brandes sah hinaus auf den flimmernden Rhein. Ein Kellner brachte eine Karaffe mit schwarzem Johannisbeersaft, den Borokin schon vorsorglich bestellt hatte.
    Mutter, dachte sie. Wenn du wüßtest, was sie hier mit mir tun. Aber vielleicht halten sie ihr Wort und lassen dich frei. Nur darum, weil ich daran glaube, tue ich es. Sie haben mich in der Hand.
    Das Leben der Irene Brandes war nicht aufregend gewesen. Als die Welle der Roten Armee, von Ostpreußen und Oberschlesien kommend, gegen Berlin rückte und auch Küstrin eroberte, war sie mit einem Treck noch in letzter Stunde den sowjetischen Panzerspitzen entkommen. Vier Wochen lang zogen sie durch Deutschland bis nach Husum, ein klappriger Leiterkarren und zwei magere Pferde, und in dem Karren zwei Großmütter und ein vor Gram irr gewordener Großvater. Die Mutter saß auf dem Bock und lenkte die Pferde, der Vater war irgendwo an der Front, und man hörte nie wieder etwas von ihm; und sie, die kleine Irene, kaum vier Jahre alt, lag meistens zwischen den beiden Großmüttern im Stroh oder hockte neben der Mutter auf dem Kutschbock und betrachtete die sich auflösende Welt mit staunenden, weiten, nichts begreifenden Kinderaugen.
    Nach zwanzig Jahren sah diese Welt nun anders aus. Satter als je zuvor, glänzender, lockender, brutaler, herzloser und kälter. Irene Brandes nahm nach der mittleren Reife eine Lehre in Flensburg an, wurde Sekretärin bei einer Lebensmittelgroßhandlung, erhielt, als sie zweiundzwanzig Jahre alt war, ein Angebot nach Bonn und übernahm den Posten einer Chefsekretärin in einer Kohle- und Stahl-Exportgesellschaft.
    In Bonn lernte sie Reiner Burckhardt kennen, einen jungen Leutnant der Bundeswehr. Sie verlobten sich, aber vier Wochen vor der Hochzeit fuhr ein betrunkener Autofahrer ihn um und verletzte Burckhardt tödlich. Es war ein mysteriöser Unfall, den Autofahrer entdeckte man nie. Aber Augenzeugen berichteten, daß der Wagen mit einer Nummer, die es gar nicht gab, plötzlich Zickzack gefahren sei, über den Gehsteig raste und den jungen Leutnant gegen die Hauswand quetschte. Dann war das Auto, diesmal ohne Anzeichen eines betrunkenen Fahrers, mit heulendem Motor in der Nacht davongefahren.
    Ein paar Wochen später erhielt Irene in ihrer kleinen Appartementwohnung in Bad Godesberg Besuch. Ein Herr, der sich zunächst Albrechten nannte, überbrachte Grüße der Mutter aus Husum, und Irene ließ ihn ahnungslos in das Wohnzimmer. Dort setzte sich Herr Albrechten in einen der kleinen Sessel, musterte Irene mit dem sachverständigen Blick eines Frauenkenners und nickte mehrmals.
    »Sie haben die

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