Begegnung in Tiflis
Kehle stecken, als er die dunkle fremde Maschine aus der Nacht herandonnern sah. Dann hieb er mit beiden Fäusten auf den Tisch und schrie.
»Heilige Madonna von Kasan!« brüllte er. »Zu kurz! Wo will er denn hin?! Zu kurz! Zieh hoch, Brüderchen, bei allen Heiligen, zieh hoch! Du springst doch nicht ins Wasser! Zieh hoch!«
Pohlmann erkannte die Lage sofort, als er die Betonpiste vor sich sah und den Landewinkel. Er startete durch, die Maschine gehorchte, ging in die Waagerechte und brauste heulend über das Flugfeld. Dann aber sackte sie durch, als gäbe es keine Luft mehr um sie herum. Wie ein Stein fiel sie herunter, und es half nichts, daß die Motoren aufschrien und Pohlmann auf Vollgas schaltete.
»Oh!« schrie Wladimir Mironowitsch in seinem Radarturm und warf beide Hände vor die Augen. »Madonna, oh! Er fällt in die Maulbeerplantage. Er fällt … er fällt … Genossen, ist das furchtbar!«
Dann war ein Krachen um ihn, so laut und mächtig, daß seine Trommelfelle zitterten, es war, als schrien tausend kleine Kinder mit hellen, sich überschlagenden Stimmen, und durch die Hände, die vor seinen Augen lagen, sah er noch das Aufzucken von Feuer.
General Oronitse, der am Rande des Flugfeldes stand, senkte den Kopf. Sein Nachtglas pendelte vor der breiten Brust mit den Ordensbändern.
»Scheußlich, Genossen«, sagte er leise. »Doppelt scheußlich, weil man nicht helfen kann. Fahren wir hin.«
Über das Flugfeld jagten die Feuerwehren und Krankenwagen. Vom Hauptturm aus ging der Alarm an das Grusinische Krankenhaus Nr. I. Die Ärzte und Schwestern standen bereit – falls es überhaupt noch etwas zu operieren und zu retten gab.
Die letzten Sekunden vor dem völligen Durchsacken und dem Aufprall auf die Erde erlebten Pohlmann, Andresen und Bettina Wolter gemeinsam in der gläsernen Kanzel.
Als sie merkten, daß die schwere Maschine keinen Luftwiderstand mehr hatte, sahen sie sich alle an. Im Gesicht Andresens stand die Todesangst wie ein stummer Schrei; Werner Pohlmanns Augen waren grau und hart, seine Lippen ein dünner Strich. Ob er jetzt an seine Frau und die drei kleinen Kinder dachte, oder an die dreiundvierzig Passagiere, die hinter ihm in vier oder fünf Sekunden in einem Feuermeer verbrennen würden?
Bettina Wolter hatte die Fäuste gegen den Mund gepreßt und starrte auf das weite Feld der kleinen Maulbeerbaumzucht, über die sie hinwegjagten und in wenigen Sekunden hineinstürzen würden.
Mutter, dachte sie nur. Mutter – Mutter – Mutter –
Dann war das unbeschreibliche Krachen um sie herum, sie wurde gegen das Glas geschleudert, sah noch, wie Pohlmann alle Motoren auf Aus stellte … und wie von einer Riesenhand gehoben wurde sie durch die Luft getragen, die plötzlich um sie war. Sie sah den Sternenhimmel, die Lichter des Flugplatzes, die heranrasenden Rettungswagen, bei vollem Bewußtsein war sie und doch von einer rätselhaften Schwerelosigkeit … dann fiel sie zwischen kleine, dunkelgrüne Bäumchen, die ihren Fall bremsten, rollte über die dünnen Zweige zu Boden und prallte auf, als sei sie nur einmal hoch in die Luft gesprungen.
Hinter ihr flammte Feuer aus den Trümmern des Flugzeuges. Grelle Schreie durchbrachen das Prasseln und das Sirenengeheul von Feuerwehr und Krankenwagen … auf den Knien lag sie und starrte wie gebannt auf ihr Flugzeug, das in der Mitte durchgebrochen in der Schonung lag, von hinten her zu brennen begann und mit zuckenden Flammen die Menschen beleuchtete, die auf allen vieren von dem Wrack wegkrochen oder noch angeschnallt in den Sitzen hingen.
Was sie in den nächsten Minuten tat, geschah ohne einen eigenen Willen. Sie taumelte zurück zu den Flugzeugtrümmern und kroch über zerbeulte Blechwände, zerknickte Spanten und wild zerrissene Holzverkleidungen in das Innere des auseinandergebrochenen Rumpfes. Mit einer Kraft, die ihr völlig fremd war, schnallte sie die ohnmächtig in den Gurten Hängenden los und schleppte sie nach draußen. An der zerborstenen Wand lag Irene Heidfeld, die zweite Stewardeß. Ihr Kopf war aufgerissen, und das Blut lief in Strömen über den zuckenden Körper. Neben ihr lag unter einem Blechstück Chefsteward Uwe Peters. In der Brust stak, wie ein Speer, eine abgebrochene Sessellehne. Die Augen waren in weiter Ungläubigkeit erstarrt.
In seinem Sessel hing der Inder und brannte. Schaurig war der Anblick. Von den Füßen her flammte das Feuer an ihm hoch, und er hatte die Hände im Schoß, den Kopf geneigt, als
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