Begegnungen Januar (German Edition)
ihr zu und balancierte bedächtig eine
Bananenkiste unter seinem Kinn. „Mein Kühlschrank war nicht
so voll, wie ich erhofft habe. Ich war nochmal im Spätshop.“
Sie eilte ihm zur Hilfe und als die Kiste endlich auf den
Herdplatten stand, inspizierte sie seinen Inhalt. Eier,
Toastbrot, Chips und Schokolade. Sie griff nach einer großen
Pappschachtel.
„Was ist das denn?“
Er errötete ein wenig, schaute ihr aber fest in die Augen.
„Kondome.“
„Fünfzig Stück? Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?“
„Hey! Zwei Wochen sind ne Menge Zeit.“
„Es sei denn, du wachst morgen auf und hast genug von mir.“
Sie hatte es als Scherz gemeint, aber seine Stimme klang
absolut ernst, als er erwiderte: „Unmöglich!“
Sie schauten sich einen Moment lang peinlich berührt an,
dann kam wieder Leben in ihn und er klapperte sich durch
ihre Küche auf der Suche nach passendem Kochgeschirr. Er
briet ein paar Eier und klatschte sie auf den wabbeligen
Toast und dann saßen sie in stiller Einigkeit beisammen und
kauten vor sich hin. Der edle Ritter, der er war, hatte er
ihr natürlich den einzigen Stuhl überlassen. Er selbst
thronte etwa einen halben Meter unter ihr auf dem Sitzsack
und sein Kinn stieß dabei fast an die Tischkante. Es sah so
lächerlich aus, dass sie am liebsten gekichert hätte, aber
sie wollte ihn nicht verletzen und verbot sich jedwede
Andeutung.
„Erzähl mir von dir!“, forderte sie ihn auf, als sie ihre
zweite Tasse Kaffee schlürften.
Es war merkwürdig. Sie fühlte sich, als würde sie ihn schon
seit Ewigkeiten kennen und doch wusste sie beinahe nichts
über ihn.
„Was willst du denn wissen?“
Sie zuckte ihre Schultern.
„Alles. Irgend etwas. Ich habe irgendwie das Gefühl... ich
sollte mehr wissen.“ Sie überlegte kurz. „Also...
Achtzehntes Semester? Wie kam das denn?“
„Oh, also gleich in die Vollen, was? Nun...“, er kratzte
sich wieder am Kopf bis seine Haare sich unheilvoll auf
seinem Kopf türmten. „Meine Mutter ist alleine und mein
Studium finanziere ich mir allein. Und ich finde, solange
ich es selbst bezahle... darf es solange dauern, wie es
dauert. Ich habe zwischendurch zwei Semester in Argentinien
verbracht, ein Semester lang habe ich Vollzeit auf dem Bau
ausgeholfen und weil es viel zu vernünftig gewesen wäre, mit
dem Geld mein Studium schnell zu Ende zu bringen, habe ich
mir danach eine Auszeit genommen und ein halbes Jahr lang
auf Kap Verde verbracht. Das ist in Afrika...“, fügte er
hinzu.
„Ich weiß, wo Kap Verde liegt.“
„Oh... Naja und dann... hab ich ziemlich gut durchgehalten
bis Tamara kam. Hat mich ein weiteres Semester gekostet.
Aber dann habe ich den Job in der Bar bekommen, Stunden, die
sich nicht mit der Uni überkreuzen und so... und eigentlich
hab ichs auch bald geschafft. Eine Prüfung, eine
Diplomarbeit und dann geht der Ernst des Lebens los. Es
gefällt mir, dass ich mich jetzt noch... ausprobieren kann.“
„Tamara also?“
Es war unhöflich und sie wusste es, aber die Frau in seiner
Geschichte interessierte sie nun einmal besonders.
Er schien nicht sonderlich betroffen zu sein.
„Ja, Tamara. Drittes Semester Jura. Lange blonde Haare,
Beine bis zum Himmel und den herrlichsten...“, er räusperte
sich. „Hat mir das Herz gebrochen.“
Er winkte ab. „Aber das ist lange her.“
Er schaute sie an, wie um zu sehen, ob ihr Gesicht eine
Regung zeigte. Aber da war nur ein ganz kleines bisschen
Mitleid und ein ganz großes verständnisvolles Lächeln.
„Jetzt du!“, forderte er sie auf.
Sie überlegte kurz.
„Hm... Lass mich überlegen. Mauerblümchen in der Schule. Bis
Henrik kam und mich niedlich fand... und niedlich will man
anfassen. Dann ökologisches Jahr am Naturlehrpfad.
Eigentlich hatte ich vor gehabt, weg zu ziehen und Design
oder Fotografie zu studieren. Aber...“, jetzt räusperte sie
sich. „Henrik hatte eine Ausbildung im Dorf begonnen als
KFZ-Mechaniker bei seinem Onkel. Er wird den Laden
irgendwann einmal übernehmen und er wollte nicht gehen. Also
bin ich auch geblieben. Habe eine Ausbildung im Fotostudio
gemacht in der nächsten Stadt... und bin dort geblieben. Und
dann... war es aus und ich bin hier.“
„Warum?“, bohrte er. „Warum ist es aus?“
Sie schluckte. Es fiel ihr nicht leicht, darüber zu reden.
Aber wem, wenn nicht ihm konnte sie es anvertrauen. Er war
gutmütig und freigiebig, er würde sich kein Urteil über sie
bilden, auf der Basis der Probleme
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