Begegnungen Januar (German Edition)
in Berlin auch viel
mehr verdienen als hier auf dem Dorf.“
Er schien fassungslos. Langsam aber sicher wurde es ihr
mulmig im Bauch.
„Du willst, dass ich meinen guten, meinen sicheren Job hier
aufgebe um mit dir 300 Kilometer weit weg zu gehen? Dass ich
meine mietfreie Wohnung aufgebe und in irgendeinem Loch
wohnen soll? Dass ich meine Eltern alleine lasse?“
Er sah noch einmal auf den Zettel.
„Und du würdest viel weniger verdienen, als hier im
Fotostudio. Viiiiiel weniger! Und ich darf dann für dich
aufkommen, oder was?“
Das war unfair.
„Ich brauch doch nicht viel. Und es wäre so eine tolle
Chance für mich.“
Er atmete ein paar Male tief ein und aus.
„Setz dich!“
Sie ließ sich auf den Wannenrand fallen. Das war nun
überhaupt nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt
hatte.
„Geh nach Berlin!“
Tränen traten ihr in die Augen.
„Ohne dich? Nein!“
„Mira.... es... ich habe schon lange darüber nachgedacht.
Ich... langweilst du dich nicht?“
„Nein.“, kam es da erstickt aus ihrer Kehle.
„Ok, dann eben nicht. Aber ich! Es... es kommt mir vor als
hätte ich irgendetwas verpasst, weißt du? Ich sehe die
Jungs, die eine Freundin nach der anderen nach Hause
bringen, die richtig was erleben... und in meinem Bett
liegst immer nur du! Woher weiß ich denn... ob das alles
ist? Ob es nicht mit jemand anderem besser wäre. Ob mir
nicht eine andere mit Freude jeden Abend meine Eier leer
saugen würde...“
Es stieß sie ab, wie er darüber redete, als wäre es nicht
ekelhaft. War es das? Hatte sie ihn nicht zufriedengestellt?
„Du kannst doch damit auch nicht glücklich sein, oder? Ich
habe keine Ahnung, ob du jemals einen Orgasmus hattest, so
still bist du. Das macht mich verrückt! Seit der Schule habe
ich immer nur dich gehabt. Weißt du, was ich mir wünsche?“
Seine Stimme wurde lauter.
„Ich will mal wieder spüren, wie es ist, begehrt zu werden.
Ich will mit jeder Frau ins Bett springen, die mich lässt.
Verstehst du das? Ich will einfach... was anderes.“
Sie konnte gar nicht anders. Wie ein kleines Häufchen Elend
sackte sie in sich zusammen und ließ die Tränen fließen. Sie
hatte ja keine Ahnung gehabt.
Henrik redete sich unterdessen in Rage.
„Ich meine... wer bleibt denn schon für immer mit seiner
Schulliebe zusammen, häh? Ich muss doch auch mal sehen, ob
es etwas anderes gibt da draußen. Hast du denn niemals das
Gefühl... du weißt schon... du hättest etwas verpasst? Jedes
Mal wenn mich eine anschaut, dann stell ich mir vor, wie es
wäre...“
Zum ersten Mal an diesem Abend sah er sie an, wirklich an.
„Hast du denn nie diesen Gedanken gehabt, Mira? Wie es wäre,
wenn...“
Er musste nicht weitersprechen, es war auch so ganz klar,
was er meinte. Sie schüttelte den Kopf. Das war die
Wahrheit. Sie hatte nie einen anderen angesehen, nie einen
anderen berühren wollen. Sie war zufrieden gewesen mit der
Mittelmäßigkeit, die er ihr geschenkt hatte.
„Heißt das...?“, schluchzte sie und fühlte das Gewicht der
Welt auf ihren Schultern.
Henrik stellte sich vor sie und legte seine Hände auf ihre
Schultern.
„Geh nach Berlin, Mira. Geh nach Berlin und lebe ein wenig!
Wenn es zwischen uns... sein soll... dann werden wir es
wissen. Gib dir ein Jahr. Es wird dir gut tun, neue
Erfahrungen zu sammeln.“
„Es ist also aus?“
„Ja, es ist aus. Es war schon aus, bevor wir überhaupt
darüber gesprochen hatten.“
Weinend nickte sie. Sie würde ihm keine Szene machen.
Schniefend stopfte sie ein paar Sachen, die sie im Laufe der
Zeit hier hatte liegen lassen, in einen Müllsack. Henrik
beobachtete sie dabei und schien sich sichtlich unwohl in
seiner Haut zu fühlen.
„Du... du sagst es deinen Eltern?“
Er nickte.
„Machs gut, Mira.“
Sie nickte nur und stolperte die dreizehn Stufen hinunter.
Wie hatte er das nur tun können? Nach acht Jahren, so mir
nichts, dir nichts einfach zu sagen, es wäre vorbei. Weil es
langweilig war, weil er jung war und gutaussehend und die
Damenwelt daran teilhaben lassen wollte. Sie könnte sich in
den Hintern treten, weil sie nie etwas von seiner
Unzufriedenheit bemerkt hatte. Aber wie denn auch? Henrik
war ihr erster, ihr einziger Freund gewesen. In der Schule
war er ihr nachgelaufen, als gäbe es kein Morgen, weil sie
so „unglaublich niedlich“ gewesen war. Bis sie sich dann
endlich beim Abiball hatte breitschlagen lassen, sich mit
ihm zu treffen. Und jetzt?
Aus und vorbei. Und es
Weitere Kostenlose Bücher