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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Abständen
gingen Reisende an der offenen Tür vorbei, und die meisten
warfen automatisch einen Blick herein.
Ich trat wieder auf den Gang, mit einer Benommenheit im
Körper, wie sie ein zum Tode Verurteilter auf dem Weg zum
Schafott fühlen muß.
Draußen ertönte eine Pfeife. Eine letzte Tür wurde zugeschlagen. Es ging ein Ruck durch den Zug. Dann waren wir in Bewegung.
Wir fuhren unter der Kungsgata hindurch und bogen nach
Westen ab. Kurz darauf hatten wir das Bonnier-Verlagshaus zur
Rechten mit seinem charakteristischen hohen Turm, dann bogen
wir am Fluß bei Karlsberg ab. Die Lichter funkelten wie gestrandete Sterne über dem nördlichen Teil von Stockholm. Bald
würden wir das offene Land erreichen, auf der Nordseite des
Mälarsees.
Der Zugrhythmus wiegte sich in uns hinein, wie wir da auf
dem Korridor oder in den Türöffnungen standen. Einige hatten
schon die Fahrkarten hervorgeholt. Andere ließen ihre Hände in
den Taschen ruhen, in einer Art inoffiziellem Wettstreit um die
beste Napoleon-Imitation.
P. E. Jansson bahnte sich den Weg zurück zum Abteil. Ich
nahm seinen Tabakgeruch wahr, als er sich neben mich stellte,
leicht seitlich an den Türrahmen gelehnt.
»Fahren Sie weit?« fragte er höflich.
»B-Bis Oslo«, antwortete ich.
»Ich auch.« Er streckte eine Hand aus. »Svensson.«
Der Griff war fest. »Ve-Ve-Wilhelmsen«, stammelte ich.
An einem Ende des Wagens war der Schaffner aufgetaucht.
»Fahrscheinkontrolle! Halten Sie bitte die Fahrscheine bereit!«
P. E. Jansson steckte die Hand in eine Innentasche und holte
eine schwarze Brieftasche heraus.
Ich selbst hatte den Plastikumschlag mit meinen Fahrkarten
lose in der Jackentasche.
Wieder ergriff mich eine Art mentaler Lähmung. Was sollte
ich tun? Wenn ich ihn bat, in ein anderes Abteil zu ziehen,
würde das nicht nur peinlich? Würde ich dabei nicht riskieren zu
verraten, daß ich wußte, wer er war? Aber im entgegengesetzten
Fall … Würde ich überhaupt ein Auge zukriegen? Würde ich es
wagen?
Der Schaffner näherte sich. Ich mußte mich entscheiden. Wie
um einer Begründung vorzubauen, konstruierte ich einen Hustenanfall, ohne mir sicher zu sein, wie überzeugend er sich
anhörte.
P. E. Jansson sah mich verwundert an. »Haben Sie sich verschluckt? Soll ich …?« Er hielt die Hand hoch, um anzudeuten,
daß er mir auf den Rücken klopfen könnte.
Ich schüttelte den Kopf. »N-nein d-danke … Ich bin erkältet.
Ich sollte vielleicht …«
Der Schaffner war bei Jansson angekommen, der ihm seine
Fahrkarte gab. Nachdem er sie zurückbekommen hatte, trat er
ins Abteil zurück. Ich bewegte mich einen halben Meter davon
weg, und als der Schaffner um die Fahrkarte bat, räusperte ich
mich dünn und sagte mit gedämpfter Stimme, während ich die
Hand an den Hals hielt: »Entschuldigung, aber ich habe einen
schlimmen Husten. Das wird meinen Abteilnachbarn vielleicht
stören. Es wäre nicht vielleicht möglich, ein Abteil für mich
allein zu bekommen?«
Der Schaffner war zehn Zentimeter kürzer als ich, hatte hanffarbenes Haar und schlaffe Lippen. Er blinzelte kurz zu mir
hoch. »Es ist nichts frei. Alles belegt.«
»Mir ist klar, daß es mehr kosten würde, aber ich werde
selbstverständlich bezahlen.«
Der Schaffner zerrte an der Fahrkarte, die ich in der Hand
hielt. »Es ist nichts frei, sage ich! Bitte schön!«
Er entwertete die Fahrkarte und gab sie mir mit irritierter
Miene zurück. »Ihr müßt euch halt so gut wie möglich arrangieren.«
Ohne weiteren Kommentar und ohne mich noch einmal anzusehen, ging er weiter zum nächsten Fahrgast, während ich mit
der Fahrkarte in der Hand stehenblieb, als wäre sie ein schlechtes Zeugnis, mit dem ich nicht viel Lust hatte, zu Hause
anzukommen.
Mit hängenden Ohren tapste ich zum Abteil zurück.
P. E. Jansson saß auf einem Klappsitz und blätterte in einer
Abendzeitung. Er sah auf, als ich in der Türöffnung erschien.
Ich lächelte dümmlich. »Wenn du dich zuerst fertig machen
willst, ich kann ruhig etwas warten.«
Er sah auf seine Armbanduhr und unterdrückte ein Gähnen.
»Ja, das ist vielleicht gar nicht so dumm. Es dauert wohl
immer eine Zeit, bis man einschläft. Willst du die solange
haben?« Er reichte mir die Zeitung.
»Ja, danke.«
»Gib mir fünf, sechs Minuten.«
Er schloß die Tür, und ich nahm seine Zeitung mit auf den
Korridor.
Ich blätterte ziellos darin herum, ohne mich konzentrieren zu
können. Allerdings konnte ich so viel feststellen, daß die

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