Begrabene Hunde schlafen nicht
Identifizierung von Svein Grorud, der Fall aus dem Oslo Plaza
und die Fahndung nach P. E. Jansson diesen Teil der schwedischen Presse noch nicht erreicht hatte.
Ich gab ihm zehn, dann öffnete ich die Tür einen Spalt und
spähte hinein.
Er hatte sich auf das obere Bett gelegt, mit dem Bauch zur
Wand. Ich konnte den kurzen Ärmel eines schwarzen T-Shirts
und einen schwellenden Unterarm erkennen. Die Lederjacke
hatte er auf einen Bügel gehängt. Das Hemd und die Hose lagen
zusammengelegt am Fußende auf der Hebammentasche. Ich
schaltete die Leselampe über meinem Bett an und die Deckenbeleuchtung aus.
Dann hängte ich meine Jacke auf, behielt aber das Hemd, die
Hose und die Schuhe an, legte mich auf die Bettdecke, mit einer
Wolldecke locker zugedeckt und die Muskeln angespannt wie
ein Sprinter in den Startlöchern.
Nach einer Weile löschte ich das Licht. Nur der bläuliche
Schein der Nachtbeleuchtung gab dem Raum Konturen wie auf
einem allzu dunklen Foto, schlecht belichtet und mit falscher
Einstellung aufgenommen.
Die Reise ans Ende der Nacht hatte begonnen. Ich hoffte, wir
würden beide den letzten Bahnhof erreichen.
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Ich lag da und lauschte seinen Atemzügen. Es war unmöglich zu
sagen, ob er schlief oder wach war.
Er bewegte sich nicht, sondern lag da wie in Trance. Er seufzte
weder, noch schnarchte er, und auch sonst gab er keine Körpergeräusche von sich. Es war, als sei er eigentlich gar nicht da,
sondern hätte sich in ein anderes Abteil gebeamt, als hätte auch
er keine Lust, die Nacht in meiner Gesellschaft zu verbringen.
Ich lag auf dem Rücken und starrte vor mich hin. Es war ein
anstrengender Tag gewesen. Aber ich mußte mich wach halten.
Der Rhythmus des Nachtzuges übertrug sich auf meinen Körper,
schaukelte mich wie in einer Wiege, streute mir Sand in die
Augen …
Plötzlich schrak ich zusammen. Was war das? Hatte ich geschlafen? Der Zug …
… stand.
Draußen hörte ich Stimmen, das Geräusch von Gummirädern
auf Asphalt, etwas, das wie eine Pumpe klang.
Im oberen Bett war noch immer alles still, als läge er dort auf
einem lit de parade.
Ich sah auf die Uhr. Halb eins.
Ich setzte mich auf, spähte vorsichtig auf das Bett über mir.
Jetzt hörte ich seinen Atem, schwach, aber regelmäßig.
Ich lugte durch den Spalt neben dem Rollo. Västerås stand auf
einem Schild.
Ein leises Pfeifsignal ertönte. Dann setzte der Zug sich wieder
in Bewegung. Draußen glitt der nächtliche Bahnhof vorbei wie
eine künstlich beleuchtete Seitenstraße des Daseins. Die Menschen auf dem Bahnsteig erinnerten in ihren unwirklichen Farben an Gespenster.
Ich legte mich wieder hin.
Aber jetzt war es, als sei ich aus dem Takt des Zuges geraten,
als stimmte der Rhythmus nicht mehr. Ich konnte nicht schlafen.
Gegen halb zwei wurde der Zug wieder langsamer. Wir kamen
an einen neuen Bahnhof. Ich beugte mich vor und sah durch den
Spalt.
Ein Schild fuhr langsam vorbei.
Örebro.
Der Bahnsteig war leer und verlassen. Nur ein Mensch stand
da und wartete.
Es war ein Mann. Als der Zug hielt, hob er den Koffer neben
sich hoch und kam mit schweren Schritten auf den Zug zu, als
ginge er durch hohen Schnee.
Einen kurzen Augenblick lang war mir, als träumte ich, als sei
das Ganze ein Streich, den mir das Nachtdunkel und die grelle
Beleuchtung spielten.
Aber er war es.
Wie um die Gesellschaft komplett zu machen, stieg Axel
Hauger – vielleicht sollte ich ihn von jetzt an Loewe nennen – in
den Zug.
Ich hörte, wie sein Koffer im Gang einige Male an die Wände
stieß, während die verschlafene Stimme des Schaffners eine
kaum hörbare Litanei herunterleierte. Eine Tür wurde geöffnet,
ein paar Abteile weiter. Ich hörte, wie der Schaffner ihm eine
gute Nacht wünschte und die Tür geschlossen wurde.
Gleich darauf setzte sich der Zug wieder in Bewegung.
Jetzt fiel es mir noch schwerer einzuschlafen. Was ging hier
vor? Wohin fuhren die beiden? Eine letzte Abrechnung bei Sonnenaufgang – aber in dem Fall miteinander? Oder mit wem?
Wußten sie voneinander? War das Ganze ein abgekartetes
Spiel?
Alles, was ich im Laufe des vergangenen Tages erfahren hatte,
über Axel Hauger wie über P. E. Jansson, schwirrte mir durch
den Kopf, während sich der Zug durch die Nacht bohrte, tiefer
und tiefer in die Dunkelheit.
Irgendwann war ich doch eingeschlafen.
Da ließ ein leiser Laut mich die Augen aufreißen.
Zwei Fangarme eines fahlen Tintenfisches – nein, zwei Würgeschlangen auf Raubzug im Halbdunkel
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