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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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den zufälligen Ort in
einer beliebigen Straße, der Schauplatz einer historischen Begebenheit geworden war. »Weißt du«, sagte sie, »in Schweden ist
es wie in den USA und sonstwo auf der Welt mit dem Mord an
Kennedy: Wenn du irgendeinen Schweden fragst, wo er oder sie
an dem Abend war, als es passierte, oder an dem Morgen, als es
die meisten von uns erfuhren, dann wird er oder sie sich daran
erinnern.«
»Ja, ich weiß tatsächlich auch noch, wo ich war.« Zu Hause im
Wohnzimmer, mit einem Buch auf dem Schoß und einem Glas
Aquavit in der Hand, auf die Mitternachtsnachrichten im Radio
wartend.
»So entsteht Geschichte, Veum.«
Hinter uns hatte Sigge fertig geknipst.
»Bist du sicher, daß du es richtig drauf hast?«
Er warf ihr ein herablassendes Lächeln zu. »Na sag mal, BritaHelén …«
»Ja, ich weiß, aber es ist ungeheuer wichtig, verstehst du.«
Sie drehte sich wieder zu mir. Mit feierlicher Miene gab sie
mir das Foto zurück. »Danke dir, Veum.«
»Gleichfalls danke.«
Sie reichte mir ihre Visitenkarte. »Sollte dir in der Geschichte
noch irgendwas Neues über den Weg laufen, das mich deiner
Meinung nach interessieren müßte, dann ruf mich an. Jetzt
müssen wir uns beeilen. Mach’s gut!«
»Tschüs!«
Sie verschwanden die Straße hinauf, deren Name ich erst
hinterher entdeckte. Olof Palmes Gata.
Ich sah auf die Uhr. Sie hatte überzogen. Sie hatte mir eine
Viertelstunde mehr gegeben als versprochen.
Wie um das Ganze abzurunden, ging ich anderthalb Häuserblocks weiter den Sveaväg entlang und von dort auf den Friedhof um die Adolf Fredriks Kyrka. Nach einigem Suchen fand
ich Olof Palmes Grab auf der Südseite der Kirche. Darauf stand
ein einfacher, rundgeschliffener Naturstein, in den sein Namenszug in eigener Handschrift eingeritzt war. Auf der Platte davor
lagen frische Blumen.
Weiter oben im Sveaväg, an der Kreuzung zur Odensgata,
fand ich die Staatsbibliothek. Dort verbrachte ich den Nachmittag damit, alles, was ich an Informationen über die Familie
Loewe, Lejon Vapen und P. E. Jansson finden konnte, aufzuspüren. Über den Letztgenannten war nicht viel zu finden,
abgesehen von einigen Zeitungsartikeln in Verbindung mit dem
Verfahren gegen ihn, das ihn als Polizisten disqualifiziert hatte.
Über die Familie Loewe konnte ich spaltenweise lesen, sowohl
im Adelskalender und in biographischen Lexika als auch in
Zeitungsartikeln über große Jubiläen. Da war ein grobgerastertes
Foto vom Hochzeitstag, mit Merete, kaum wiederzuerkennen
unter dem Brautschleier. Die Berichte um den Autounfall 1988
gaben nicht mehr her als das, was Brita-Helén berichtet hatte,
und von seinem jüngeren Bruder, Axel, fand ich nur ein Kinderfoto, im Alter von sechs Jahren – viel zu jung, um die Verwandtschaft mit dem Axel Hauger zu verraten, den ich in Oslo
getroffen hatte.
Als die Bibliothek schloß, nahm ich die U-Bahn nach Gamla
Stan, wo ich etwas aß, das sich skomakarlåda nannte, eine Art
Steak, umgeben von Kartoffelbrei, in einem Kellerrestaurant
gleich neben der Storkyrka. Der Wein schmeckte, als sei er seit
Bellmanns Zeiten gelagert gewesen, und die Serviererin war
eine gar nicht schlechte moderne Kopie von Bellmanns Figur
Ulla Winblad mit freizügigem Ausschnitt und freigebig verteiltem Lächeln.
Ich ging auf der Fußgängerbrücke über Norrströmmen zurück
zum Hauptbahnhof. Bei Strömsborg, das wie ein kleines Kastell
mitten im Fluß lag, blickte ich noch einmal zurück auf Gamla
Stan, wo sich die Türme der Storkyrka und der Tyska Kyrka wie
erleuchtete Nadelspitzen gegen den Himmel abhoben. Sie zeichneten eine Silhouette von einer Art göttlicher Geometrie, die nur
die Eingeweihten verstanden. Noch ein ungelöstes Mysterium.
Ich war eine knappe halbe Stunde vor Abfahrt des Nachtzuges
um 23.07 Uhr am Hauptbahnhof. Ich holte meinen Koffer aus
dem Schließfach und sah mich nach einem Kiosk um. Als ich
mich dem Zeitungsständer näherte, wurde mein Blick von den
Überschriften der norwegischen Zeitungen gefesselt: SVEIN
GRORUD stand fett im Balken. Ich sah auf eine andere. GESUCHT stand da.
Ich kaufte beide Zeitungen, nahm sie mit zu einer Bank, setzte
mich und schlug sie auf.
In der ersten war ein großes Foto von Svein Grorud abgebildet, und der vollständige Text lautete: SVEIN GRORUD ERMORDET. Ich schlug die andere auf und las: GESUCHT WEGEN MORDES. Neben dem Titel war ein Polizeifoto von P. E.
Jansson abgedruckt.
Wie ein Echo in meinem Kopf hörte ich

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