Begrabene Hunde schlafen nicht
Anne-Kristine
Bergsjøs Kommentar, als ich gesagt hatte, sie müßten Svein
Grorud stoppen. Vergiß es! hatte sie gesagt. Sie hatte es die
ganze Zeit gewußt. Also war es nicht P. E. Jansson gewesen, der
tot auf dem Dach der Galerie Oslo gelegen hatte; also … Ich las
rasch die Artikel. Die einzige Neuigkeit war, daß die Polizei
jetzt den Namen des Mannes bekanntgegeben hatte, der nach
einem Fall aus dem neunzehnten Stock des Oslo Plaza am
letzten Donnerstag verunglückt war. Jetzt gab es einen eindeutigen Verdacht, daß eine kriminelle Handlung dahintersteckte.
Die restlichen Spalten enthielten kurze Beschreibungen von
Svein Grorud und P. E. Jansson, der in der anderen Zeitung nur
»unter Verdacht« war, nicht »gesucht«. Über Svein Grorud
wußten sie das meiste, aber über P. E. Jansson wußten sie
weniger als ich, jedenfalls im Augenblick.
Der Zug wurde aufgerufen.
Ich ging zum Bahnsteig, fand meinen Waggon und dann das
richtige Abteil. Von Oslo nach Stockholm war ich allein gefahren. Jetzt waren im Abteil zwei Betten hergerichtet: 14 und 18.
Ich sollte unten liegen, in der 14.
Ich legte den Koffer auf die Ablage über der Tür und hängte
meine Jacke auf. Dann sah ich auf die Uhr. Es war elf.
Hinter mir sagte ein Mann auf schwedisch: »Bett Nummer 18,
das ist doch hier, oder?«
Ich drehte mich um, ein höfliches Lächeln auf den Lippen.
Ich habe keine Ahnung, wie das Lächeln danach aussah. Für
mich fühlte es sich an wie eine Muskelzerrung.
Es war einer dieser Augenblicke, wo alles um einen herum
aufhört zu existieren. Die Zeit steht still, und alles, was du hörst,
ist der Puls, der in deinen Ohren dröhnt.
Der Mann, der in der Türöffnung stand, war P. E. Jansson.
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Ich erstarrte und stand still wie ein kleines Nagetier, das von
einem Raubtier überrascht wird. Der neutrale Blick P. E.
Janssons hypnotisierte mich, und die Nackenhaare standen mir
zu Berge. Es war, als würde das sowieso schon enge Abteil
schrumpfen, und ich fühlte mich beklemmt wie ein übergewichtiger Junge auf einem Tanzschulball.
Er war es. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel. – Aber
wußte er, wer ich war?
Ich zwang mein Lächeln wieder hervor und drückte mich an
den Betten entlang auf den Korridor. »Ich gehe nach draußen,
während du dich einrichtest.«
Er nickte und rückte etwas zur Seite, um mich durchzulassen.
Ich hielt soviel Abstand wie möglich, als könnte er meine Angst
riechen. Ich war plötzlich naß unter den Achseln, und zwischen
den Schulterblättern brach der Schweiß in klebrigen Tropfen
hervor.
Er trug eine halblange, schwarze Lederjacke und braune
Terylenhosen, und er reiste leicht. Sein ganzes Gepäck bestand
aus einer Hebammentasche.
Als er ins Abteil verschwand, lehnte ich mich schwer an die
Wand, atmete langsam aus und starrte auf den Bahnsteig.
Nichts in seinem Blick ließ darauf schließen, daß er mich
erkannt hatte. Andererseits: Er war ein versierter Spieler, ein
professioneller Fuchs. Konnte er mich irgendwo gesehen haben?
Und wenn ja, wußte er, daß ich in Stockholm war? Warum in
aller Welt fuhr er jetzt zurück nach Norwegen, wo er in allen
Zeitungen des Landes als »gesucht« oder »unter Verdacht«
erschien? Hatte er immer noch etwas zu erledigen? Wenn er
überhaupt so weit fuhr. Vielleicht wollte er nur nach – Örebro,
zum Beispiel? Was sollte ich tun? Die Polizei alarmieren? Ich
sah auf die Uhr. In einer Minute sollte der Zug abfahren.
Es war zu spät. Der Schaffner?
Aber was sollte ich sagen? Und wie sollte ich mich verhalten?
Würde ich gezwungen sein, die Nacht mit einem Mörder in
einem Abteil zu verbringen? Der vielleicht sogar wußte, wer ich
war? Und daß ich wußte, wer er …
Draußen auf dem Bahnsteig kamen die letzten Passagiere
angehetzt. Die letzten Küsse wurden ausgetauscht. Ein Soldat in
Uniform küßte seine Liebste so innig, daß es aussah, als würde
sie jeden Moment zwischen seinen Lippen verschwinden.
P. E. Jansson kam wieder auf den Gang. Er nickte mir kurz zu,
hielt eine Zigarettenpackung hoch und machte mir ein Zeichen,
daß er in den Zwischengang gehen wolle, um eine Zigarette zu
rauchen. Er hatte die Jacke aufgeknöpft. Darunter trug er ein
blaues Jeanshemd mit einem schwarzen Lederschlips.
Ich ging zur Tür und sah ins Abteil.
Die Tasche hatte er auf das Bett gelegt, ans Fußende. Ich
fühlte mich versucht hineinzuschauen, um zu wissen, was er bei
sich hatte, aber ich riskierte es nicht. In regelmäßigen
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