Bei Anbruch des Tages
stellen, schlieÃlich war sie wirklich eine tadellose Ehefrau und Mutter. Deshalb erwiderte er versöhnlich: »Für jemanden, der Dialoge schreibt, war das wirklich eine furchtbar primitive Bemerkung. Zur Wiedergutmachung lade ich dich heute ins Theater ein. Pavarotti singt in der Scala. Die Oper gefällt dir sicher: Es ist La Bohème , ein Meisterwerk.«
Und so saÃen sie an diesem Abend neben Cavalier Cantoni im Parkett, der von einer schönen Dame zwischen vierzig und fünfzig begleitet wurde, die er seinem Sohn und der Schwiegertochter leicht verschämt vorstellte.
Sie hieà Violetta Bianchi Clementi und hatte einen Antiquitätenladen in der Via Bagutta.
»Du hast tatsächlich ins Schwarze getroffen!«, flüsterte Guido seiner Frau ins Ohr.
»Ich muss sagen, ich bin positiv überrascht«, bemerkte Léonie.
»Na ja, zum Glück ist es keine Zwanzigjährige«, erwiderte ihr Mann.
Es handelte sich um eine sehr charmante Dame mit tadellosen Umgangsformen und einem distinguierten ÃuÃeren. Um eine Frau, die durchaus in der Lage war, einem einsamen Witwer den Kopf zu verdrehen, dachte Léonie.
Als sie später, in der ersten Pause, zusammen im Foyer standen, fühlte Renzo sich gezwungen, seinem Sohn zu sagen: »Sie ist nur eine Freundin. Mein Bruder hat sie mir vorgestellt, als er eine Altartafel für seine Kirche kaufen wollte und ich ihm bei den Verhandlungen helfen sollte. Bisher habe ich diese Freundschaft, die mir sehr guttut, noch nicht erwähnt.«
»Wieso lädst du sie nicht zu uns nach Hause ein?«, fragte Guido.
»Weil ich nichts verkomplizieren will, was im Grunde ganz einfach ist«, entgegnete sein Vater, womit das Gespräch für ihn beendet war.
Einige Monate später rief Signora Violetta Bianchi Clementi mitten in der Nacht in der Villa an, um mitzuteilen, dass Cavalier Cantoni gerade in die Notaufnahme der Poliklinik gebracht werde, es gehe ihm nicht gut.
Das war der erste Herzinfarkt, der Renzo zu einer langen Bettlägerigkeit zwang und ihn die Beziehung kostete, die er ihnen als eine platonische Freundschaft hatte verkaufen wollen.
4
I ch wünsche keinen Besuch von Angestellten, erwarte aber, dass du mich über alles auf dem Laufenden hältst«, hatte Cavalier Cantoni seiner Schwiegertochter gesagt, woraufhin sie zwischen Firma und Krankenhaus hin und her pendelte.
Guido wachte die kritischen Tage über am Bett seines Vaters und kam nur zum Schlafen nach Hause.
Jetzt, da Renzo die Intensivstation verlassen hatte, wollte er gleich wieder mit der Arbeit beginnen, aber die Ãrzte waren unerbittlich: Wenn er wieder gesund werden wolle, brauche er absolute Ruhe. In der Firma verlieÃen sich alle darauf, dass Léonie ihren Schwiegervater würdig vertreten würde, und wandten sich mit ihren Problemen an sie. Sie hörte allen zu und sagte: »Ich werde meinem Schwiegervater Bericht erstatten und Ihnen bald Bescheid geben.«
In Wirklichkeit informierte sie ihren Schwiegervater längst nicht über alles. In vielen Fällen überlegte sie, was wohl die beste Lösung sei, und entschied allein.
Guido, der das mitbekam, kam nicht umhin, sie zu fragen, woher sie nur die Kraft nahm, sich um die kleine Giacinta und die anderen drei Kinder sowie um die Firma zu kümmern. Lächelnd erwiderte sie: »Ich bin eine Frau, ein anderes Geheimnis gibt es nicht. Ich bin in der Lage, meine Zeit optimal zu nutzen, und versuche, alles mit Freude zu tun.«
Wenn sie aus dem Büro nach Hause kam, eilte sie jedes Mal gleich in Giacintas Zimmer, um sie zu stillen.
Eines Tages, als sie das Kind gerade an die Brust gelegt hatte, kam Nesto herein.
»Signorina Mombelli aus der Firma möchte Sie sprechen«, verkündete er und hielt ihr ein groÃes, schweres schnurloses Telefon hin, die neueste Erfindung der Telefontechnik.
»Wenn nicht gerade die ganze Firma in Brand steht, rufe ich später zurück«, sagte Léonie, bevor die Sekretärin ihres Schwiegervaters auch nur ein Wort sagen konnte.
»Ich habe mir erlaubt, Sie zu stören, weil es Streit in der Personalabteilung gibt«, erklärte die Frau.
Der Personalchef war auf einer Fortbildung in Turin, und wenn Signorina Mombelli deswegen anrief, hieà das, dass es ein ernsthaftes Problem gab.
»Dann sollen sich die Gemüter wieder etwas beruhigen. Ich komme am Nachmittag noch mal rein«, erwiderte sie und
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