Bei Anruf - Angst
Keine
Folter!“
„Gaby!“, meinte Tim. „Du
sagtest doch eben, du müsstest mal zur Toilette. Lass dir bitte Zeit mit dem
Händewaschen.“
„Schon gut, schon gut!“, kaute
Havliczek durch seine gelben Zähne. „Ich weiß, wann ich verloren habe. Ich gebe
auf.“
„Fein! Dann mal rein in den
Wohnraum. Setz dich auf die Couch!“
Gaby, die keineswegs zur
Toilette wollte, hatte inzwischen die Lederjoppe an der Garderobe untersucht.
Und eine pralle Brieftasche gefunden.
„Er hat Geld wie Heu. Dem
Reisepass nach ist er aus Tschechien. Aus Prag. Heißt Victor Havliczek, 39
Jahre alt. Igitt — der sieht ja aus wie ein kaputter Sechziger. Ob der Pass
gefälscht ist?“
„Ist echt!“, rief Havliczek
empört. „Ich kann nichts für mein Gesicht. Das liegt in der Familie. Mein Vater
sah mit 50 aus wie 100. Und bei meiner Mutter haben die Leute immer gedacht,
sie wäre meine Großmutter. Meine Eltern hatten ein... Bierlokal.“
„Und waren sicherlich ihre
besten Kunden“, meinte Tim. „Aber der Alkoholismus in eurer Familie
interessiert uns nicht. Wir haben andere Fragen.“
„Erst rufe ich meinen Papi an!“,
sagte Gaby energisch. „Denn jetzt haben wir’s erwiesenermaßen mit Schleusern zu
tun. Damit wächst der Fall über unsere Zuständigkeit hinaus.“
Keiner der Jungs machte
Einwände.
Gaby zog sich mit dem Telefon
in eine Ecke zurück und sprach leise — erst mit dem Präsidium, wo ihr geliebter
Papi heute Nachtdienst hatte, dann mit ihm selbst.
Tim schob einen Stuhl mit der
Lehne zur Couch, setzte sich grätschbeinig, legte die Arme auf und starrte
Havliczek ins verwüstete Ganovengesicht.
„Du bist Schleuser. Du bringst
menschliche Fracht aus Prag. Flüchtlinge aus Armutsländern und aus solchen
Ländern, in denen die Machthaber Schikane, Folter, Vertreibung — auch Säuberung
genannt — und Mord für ein politisches Mittel halten.“
„Hm. Ja. Ist doch nicht meine
Schuld, wenn diese Leute hierher wollen.“
„Wie heißen deine Komplizen?“
„Was?“
„Die anderen Schleuser, Mann!
Kuno Ivoritzki kennen wir ja schon, den Wohnungsinhaber. Du hast einen Adolf
grüßen lassen. Und wie heißt der Anrufer — Olivias Bruder?“
„Äh...“
„Ich frage nicht noch mal!“
„Adolf Westermeier ist
eigentlich kein Schleuser. Ich... kenne ihn nur so.“
„Olivia... und wie weiter?“
„Leunig. Olivia Leunig.“
„Ihr Bruder heißt...?“
„Auch Leunig.“
„Vorname?“
„Bodo.“
Tim beobachtete ihn. Havliczeks
Blick flackerte.
„Wenn du gelogen hast,
Havliczek, wirkt sich das schlecht für dich aus.“
„Ich sage, was ich... äh... was
ich weiß. Aber in unserer Branche ist es auch üblich, äh... Falschnamen zu
benutzen. Jedenfalls kenne ich Bodo als Bodo Leunig und Adolf als Adolf Westermeier.
Die Olivia kenne ich überhaupt nicht. Ich weiß nur von ihr.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob
du die Wahrheit sagst. Aber das wird sich rausstellen.“
Gaby hatte aufgelegt. „Mein
Papi ist auf dem Wege hierher. Bis jetzt hat er nicht geschimpft.“
„Warum sollte er“, grinste
Karl. „Wir sind doch einer Riesensauerei auf der Spur. Und das nur, Gaby, weil
du dich am Sorgofon um verzweifelte Kids kümmerst. Bei so einer
wohltätig-nächstliebenden Fürsorge-Freizeit muss man damit rechnen, dass ein
Steinchen ins Rollen kommt und eine Lawine auslöst.“
„Wer ist Beate Welkhalm?“,
fragte Tim rasch.
Havliczek blinzelte. Für einen
Moment schien er nach einer Ausrede zu suchen. Aber Tims Miene nahm einen
unheilvollen Ausdruck an. Der Schleuser besann sich.
„Sie gehört zu uns. Im
norddeutschen Raum verteilt sie die Flüchtlinge an... äh... Firmen, die billige
Arbeitskräfte suchen, auf Baustellen und so. Am Fließband und so. Da wird
Hungerlohn gezahlt. Natürlich keine Steuern und keine Sozialversicherung.“
„Und wenn diese Firmen
auffliegen?“
Havliczek hob die Schultern. „Ist
nicht unsere Sache.“
„Ist Olivia bei der Welkhalm?“
„Wie? Äh... weiß ich nicht.
Kann ich mir eigentlich nicht denken. Beate ist in Hamburg.“
Tim nickte. „Dort wird sich
bald die Polizei um sie kümmern. Wohin bringt Kuno den Transport, den du über
die Grenze geschleust hast?“
„In die Nähe von Frankfurt.“
„Wohin genau?“
„Keine Ahnung. Das ist ihm
überlasssen. Er... äh... also, diese Fracht wird in den Sand gesetzt, wie wir
sagen. Kuno lässt die Leute irgendwo raus — mit ‘nem leeren Versprechen. Dann
müssen die sehen, wie sie
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