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Bei Anruf - Angst

Bei Anruf - Angst

Titel: Bei Anruf - Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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einen
Kräuterschnaps.“
    „Natürlich einen Amarusetto.“
Sie lachte. „Blau oder grün?“
    „Was ist der Unterschied — außer
der Farbe?“
    „Der blaue schmeckt süßer, hat
aber nur 40 Prozent — der grüne 55.“ Sie schnalzte mit der Zunge, was ziemlich
blöd wirkte. „Ich trinke immer den blauen.“
    Sie war eine dralle Person mit
aufdringlichem Blick. Dietmar zwang sich ein Lächeln ab.
    „Für mich einen grünen.
Schenken Sie sich einen blauen ein.“
    „Danke.“
    Sie wackelte zur Theke und fing
an, das Bier zu zapfen. Wenn du wüsstest!, dachte Dietmar. Was zu erfahren ist
über Amarusetto, habe ich mir reingezogen. Ich bin Experte. Sofern man das
überhaupt sein kann bei diesem weltberühmten Gebräu. Denn sein Geheimnis kennt niemand
— ausgenommen die drei Mönche.
    Er lehnte sich zurück, strich
mit beiden Händen über sein sommersprossiges Gesicht und schloss die Augen. Als
er spürte, dass jemand vor ihm stand, klappte er die Lider hoch. Die
Serviererin mit den Getränken?
    „Hallo, Dietmar!“, sagte Adolf
und tippte ans Schild seiner Basecap.
    „Na, schön — dass du da bist.
Hallo!“ Sie gaben sich die Hand.
    „War aasig, dieses Gekutsche!
Stau! Schneetreiben! Nur Idioten auf der Autobahn und hinter Plaxen-Vorderklapp
ist ein Lkw auf die Gegenfahrbahn gedonnert. Hat ein Militärfahrzeug gerammt.
Jede Menge Verletzte. Ich brauche jetzt fünf, sechs Bier und genauso viele
Schnäpse.“
    Adolf hatte sich aus Mantel und
Schal geschält. Die Mütze blieb auf dem Kopf. Das war nicht Vergesslichkeit,
sondern sein Stil. Vermutlich ließ er auch in der Badewanne den Hut auf dem
Kopf.
    „Wir sind ja nicht zum Spaß
hier“, sagte Dietmar. Dabei senkte er die Stimme, denn diese Feststellung hätte
die übrigen Gäste verwundert. Sie waren zum Spaß hier — zum schönsten Spaß des
Jahres: Urlaub.
    Adolf ließ sich auf einen Stuhl
sinken und grinste den Komplizen an. Beide hatten den gleichen mitleidslosen
Blick und gelernt, ihre Verschlagenheit zu verstecken. Und ihre Gier, ihre
Rohheit und Menschenverachtung. Gefragte Fähigkeiten bei Typen wie ihnen. Wer
armselige Flüchtlinge aus Drittländern ausbeutet und ins Messer laufen lässt — Menschen,
die vor politischer Verfolgung und/oder Hungersnot fliehen, für den — nämlich
den Menschenschmuggler, den Schleuser — sind Worte wie Mitgefühl oder
Anteilnahme Begriffe ohne Inhalt.
    Die Kellnerin servierte
Dietmars Bier und den Amarusetto grün. Dietmar schob beides seinem Kumpel zu
und bedeutete der Frau, das Gleiche noch mal zu bringen.

    Adolf trank durstig,
schnupperte dann an dem grünschillernden, aromatischen Likörschnaps.
    „Was’n das? Badewasser aus der
Kuh-Tränke?“
    „Koste mal! Das ist Amarusetto.“
    „Aha! Schon gehört.“ Er
schlürfte die Hälfte. „Nicht übel. Was heilt man denn damit außer Halsschmerzen
und Magengeschwüren? „
    Adolf Tagner war 36, knochig
und bleichhäutig. Allerdings hatte seine Blässe einen schmutzigen Grauton. Das
ließ ihn krank aussehen, täuschte aber, denn er schaffte 96 Liegestütze — wie
er behauptete — und konnte eine halbe Stunde auf dem Kopf stehen, ohne dass ihm
schwindelig wurde. Er war hauptberuflicher Fernfahrer, bezog aber zur Zeit Alu (Arbeitslosen-Unterstützung). Selbstverständlich hatte er dieses Geld nicht nötig und kassierte es nur zur
Tarnung, denn seine kriminelle Tätigkeit als Schleuser brachte ihm — wie auch
Dietmar und Kuno Ivoritzki, dem Dritten im dreckige Bunde — ein Vermögen ein.
    „Du hast Recht“, nickte
Dietmar. „Der Amarusetto ist der Klassiker unter allen Kräuterschnäpsen:
weltberühmt, beliebt, geliebt — und deshalb begehrt. Eine Wohltat für marode
Mägen — für alle Typen, die sich so gern überfressen — , aber auch für
Genießer, die sich die Mixtur nach einem Gourmet-Essen reinpfeifen. Der
Amarusetto, blau wie grün“, Dietmar sprach leise, „hat hier im Dorf St.
Amarusetta seinen Ursprung. Die Geschichte des Kräuterschnapses ist
Jahrhunderte alt. Und undenkbar ohne die Mönche. Die Mönche vom Orden Silentus.
Wie schon der Name sagt: Hinter deren Klostermauern wird nicht gequasselt. Dort
schweigt man. Geredet wird nur, wenn es unbedingt nötig ist, wenn
Zeichensprache und Gebärde nicht ausreichen. Die Mönche werden Silenti genannt.
Und es gibt nicht mehr viele. Denn wir leben im Zeitalter von Geschwafel,
Gequatsche, Gesülze. Wer keine Gedanken hat, der soll wenigstens gut reden. Man
kennt ja die saublöden

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