Bei Einbruch der Nacht
heften uns an seine Fersen«, sagte er. »Strecke oder nicht Strecke. Wir brechen das Lager ab. Sag Camille Bescheid, Sol.«
»Nein«, sagte Adamsberg.
»Was?« fragte der Wacher.
»Wir brechen das Lager nicht ab. Wir bleiben hier. Wir rühren uns nicht.«
»Massart ist in Vaucouleurs«, sagte Soliman jetzt lauter. »Und wir fahren da hin, wo Massart hinfährt. Nach Vaucouleurs.«
»Wir fahren nicht nach Vaucouleurs«, sagte Adamsberg, »weil er genau das will. Massart ist nicht von seiner Route abgewichen.«
»Ach nein?« fragte Soliman.
»Nein. Er will nur, daß wir Beicourt verlassen.«
»Und wozu?«
»Um ungestört zu sein. Er hat jemanden in Beicourt umzubringen.«
»Ich bin nicht einverstanden«, sagte Soliman und schüttelte heftig den Kopf. »Je länger wir hier bleiben, desto weiter entfernt er sich von uns.«
»Er entfernt sich nicht von uns. Er überwacht uns. Fahr nach Vaucouleurs, wenn du magst, Soliman. Fahr, wenn dir das Spaß macht. Du hast das Mofa, du kannst fahren. Und du, Wacher, fahr du auch, wenn du willst, frag Camille. Sie ist die Fahrerin. Ich bleibe hier.«
»Was beweist uns, daß du recht hast, Junge?« fragte der Wacher irritiert.
Adamsberg zuckte mit den Schultern.
»Du kennst die Antwort«, erwiderte er.
»Der Schlenker auf der Strecke?«
»Unter anderem.«
»Das ist eine Kleinigkeit.«
»Die aber nicht erklärlich ist. Es gibt noch weitere.«
Hin- und hergerissen zwischen Auflehnung und Hingabe, ging Soliman eine Stunde am Laster - seinem Revier auf und ab, bis er sich entschieden hatte. Schließlich holte er die Wäsche und die blaue Wanne, das Zeichen dafür, daß er die Waffen gestreckt hatte.
Adamsberg ging zu seinem Wagen zurück. Man erwartete ihn bei der Gendarmerie wegen der Ermittlungen in Vaucouleurs. Bevor er die Wagentür öffnete, nahm er seine Pistole heraus und überprüfte das Magazin.
»Bewaffnest du dich?« fragte der Wacher.
»Mein Name steht heute morgen in der Zeitung«, erwiderte Adamsberg und verzog das Gesicht. »Irgend jemand hat geredet. Ich weiß nicht, wer. Aber wenn sie mich sucht, dann findet sie mich jetzt.«
»Die Killerin?«
Adamsberg nickte.
»Würde sie auf dich schießen?«
»Ja. Eine hübsche kleine Kugel in den Wanst. Wache, Wacher, wache über mich. Ein großes, rothaariges, dürres Mädchen mit Ringen um die tiefliegenden Augen, langes, sich lockendes Haar, eine kleine Nase, blasse Haut. Vielleicht mit zwei mageren kleinen Mädchen im Gefolge. Ach, da, schau«, sagte er und zog ein Foto aus der Tasche.
»Was hat sie so an?« fragte der Wacher ernst, während er das Bild genau musterte.
»Sie wechselt ständig. Sie schminkt sich wie ein Kind.«
»Soll ich den anderen Bescheid sagen?«
»Ja.«
Adamsberg verbrachte den Rest des Tages mit Aimont und den Polizisten von Vaucouleurs. Aimont sah zum ersten Mal, was der große Wolf angerichtet hatte, und war sichtlich beeindruckt von dem Massaker an der Herde. Am späten Nachmittag schickte die Polizei von Digne ein Foto von Massart nach Beicourt, das Aimont vergrößern und verbreiten ließ. Die Unterlagen über den Mann, die aus Puygiron kommen sollten, waren dagegen noch immer nicht da. Adamsberg beschäftigte sich damit, Auguste Massarts Porträt zu betrachten. Ein dickes, weißes, verdrossenes Gesicht, feindselig und nicht sehr gefällig. Glatte, aufgedunsene Wangen, eine kurze Stirn unter einem langen Pony schwarzer Haare, engstehende dunkle Augen, wenig ausgeprägte Brauen, eine Art schläfrige Roheit.
Das von Danglard vorbereitete Dossier kam um sieben in Beicourt an. Adamsberg faltete es sorgfältig zusammen, steckte es gut geschützt in seine Innentasche und fuhr zum Lastwagen zurück.
Bevor er schlafen ging, nahm er die 357 aus ihrem Futteral und legte sie unter sein Bett, in unmittelbarer Nähe seiner rechten Hand. Er streckte sich aus, nahm Camilles Hand und schlief ein. Camille sah eine Weile mit leerem Kopf auf ihre Hand und ließ sie dort, wo sie war.
Anstatt Interlock zusammengerollt auf seinen Füßen schlafen zu lassen, hatte der Wacher ihn draußen postiert.
»Paß auf dieses Mädchen auf«, hatte er ihm eingeschärft, während er ihn an den Ohren kraulte. »Groß, rothaarig, mager. Eine Killerin. Schimpf, so laut du kannst. Mach dir keine Sorgen«, fügte er hinzu, nachdem er sich den Himmel angesehen hatte, »es wird heute nacht nicht regnen.«
Interlock hatte so getan, als kapierte er alles, und sich auf den Boden gelegt.
Am Donnerstag, dem 2.
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