Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
sie. »Ich glaube schon. Es ist so viel passiert, und ich muss einiges in meinem Leben verändern. Es geht so nicht mehr weiter.«
|300| »Aber was …?« Torstens Blick wurde unsicher. »Willst du …«
»Jetzt nicht.« Entschlossen griff Doris nach seinem Arm. »Ich will diese Feier hinter mich bringen und danach mit dir reden. Und ich weiß, dass du es gut gemeint hast. Aber es ist bitte das letzte Mal, dass du allein entscheidest, was für mich gut ist und was nicht. Ich möchte das wieder selbst wissen. Und jetzt lass uns da reingehen, sonst bekommt Margret gleich einen bühnenreifen Nervenzusammenbruch.«
|301| D ein Handy funktioniert immer noch nicht.« Margrets Stimme empfing Doris, noch ehe die ersten Gratulanten sie erreichen konnten. »Den ganzen Morgen habe ich versucht, dich zu erreichen. Du musst es reparieren lassen.«
»Ich habe es an die Wand geschmissen, Mama«, antwortete Doris im Vorbeigehen. »Lauter Einzelteile, das ist hin.«
»Aber warum?« Margrets verblüffte Frage ging in der ersten Begrüßungswelle unter.
Es waren genau fünfzig Gäste, die sich hier versammelt hatten. Torsten hatte ihr die Zahl zugeraunt, er war sehr stolz, dass alles geklappt hatte. Die Gäste standen in kleinen oder größeren Gruppen zusammen und sahen den beiden gut gelaunt entgegen. Doris unterdrückte den Impuls, sich auf dem Absatz umzudrehen und das Lokal zu verlassen.
Sie suchte Katja und Anke und sah die beiden am Tresen stehen, zusammen mit Stefan, Torstens bestem Freund, und dessen Frau. Doch Stefan war nicht der Einzige aus ihrem Abiturjahrgang, plötzlich erkannte Doris noch andere Gesichter und fragte sich, warum sie erst fünfzig werden musste, um alle wiederzusehen. Torsten zog sie weiter. Hilfesuchend schickte sie einen Blick über die Schulter, der von Katja aufgefangen und mit einem beruhigenden Lächeln quittiert wurde.
Egal, ob diese Feier nun überflüssig war oder nicht: Es |302| waren lauter Menschen hier, die sie mochte, die extra gekommen waren und sich vielleicht sogar darauf gefreut hatten. Torsten hatte sich wirklich viel Mühe gemacht. Also hob Doris das Kinn und stürzte sich ins Getümmel.
Während sie geküsst, umarmt und beglückwünscht wurde, hatte sie mit einem kurzen Blick gesehen, dass es offensichtlich eine Tischordnung gab, geordnet nach Familie, Freunden, Firma, Nachbarn. Sie hatte es befürchtet. Dafür gab es keinen gemischten Braten, sondern ein Antipasti-Büffet, ein klares Zeichen dafür, dass Margret sich nicht so sehr in die Vorbereitungen hatte einmischen können. Wenigstens das war weniger schlimm als erwartet. Jemand drückte ihr ein Glas Sekt in die Hand, Doris trank es aus, die guten Vorsätze würde sie hier und heute auf jeden Fall in den Wind schießen.
Das zweite Glas drückte ihr jemand in die Hand, als sie am Familientisch angekommen war. Moritz saß zwischen Wiebke und Margrets Lebensgefährten Werner und sprang sofort auf, als er seine Mutter sah.
»Mama, herzlichen Glückwunsch«, rief er, bevor er sie umarmte. An ihr Ohr gepresst flüsterte er dann: »Tut mir leid mit Oma, hat sie viel Theater veranstaltet? Sie hat mich einfach fertiggemacht.«
»Mich auch.« Doris schob ihn ein Stück zur Seite und wischte ihm ein paar Tropfen Sekt vom Ärmel, die sie bei seiner Umarmung versprüht hatte. »Es ist schon in Ordnung.«
Sie sah ihm über die Schulter, in der unsicheren Erwartung, ein ganz bestimmtes Gesicht in der Menge zu entdecken. Vergeblich. Außer Wiebke und Werner, die mittlerweile auch standen, und ihren Schwiegereltern, war nur noch Margret zu sehen, die gerade mit fliegendem Paschminaschal auf sie zu rauschte.
|303| »Sind denn jetzt alle da? Dann kann ich mich vielleicht auch mal setzen. Ich habe alles mit der Küche besprochen, sie machen jetzt noch eine Hochzeitssuppe, ihr könnt doch nicht nur so ein kaltes Zeug anbieten. Ich habe …«
Doris gab Torsten ein Zeichen und floh.
»Wenn ich der Koch hier wäre, würde ich Margret jetzt für fünfzig Leute Hackfleischbällchen rollen lassen.« Doris ließ sich auf den leeren Stuhl neben Katja fallen. »Sie macht das ganze Lokal verrückt.«
»Sie meint es bestimmt nur gut«, sagte Stefan, der ihr gegenübersaß. »In unserem Alter sollte man froh sein, dass man noch eine Mutter hat.«
»Stefan, also bitte …«, begann Katja und stockte. Ihr fiel ein, dass seine Mutter vor zwei Jahren gestorben war. Mit dreiundachtzig, manche Frauen ihrer Generation hatten eben
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